«Ich versuche, so positiv wie möglich zu sein»

Interview mit Meike Harde

Designerin Meike Harde.

Die aktuelle Lage lässt Designerin Meike Harde ruhiger werden. Daraus schöpft sie Kreativität und neue Ideen.

Sie haben das Sofa «Lomi» für Bolia entworfen. Was hebt «Lomi» von anderen Sofas ab?
Meike Harde: «Lomi» ist ein klassisches, gleichzeitig aber besonders elegantes Sofa. Durch seine zarte Erscheinung soll es eine Alternative zu massiven Sofas darstellen, um auch in kleinere Räume zu passen.

Es ist nicht Ihr erster Entwurf für ein Sofa. Wie schwierig ist es, immer wieder losgelöst von früheren Entwürfen bei Null anzufangen?
MH: Es gibt bei der Gestaltung von Sofas etliche stilistische Richtungen, die man einschlagen kann. Daher würde ich es nicht als schwierig bezeichnen, neue Entwürfe zu generieren. Es ist umgekehrt eine schöne Aufgabe, neu zu denken und zu erkennen, wie gross das formale Potenuzial bei Polstermöbeln ist.

Hatten Sie bei «Lomi» freie Hand oder gab es klare Vorgaben?
MH: Es gab zu «Lomi» ein Briefing, das aber gewisse Spielräume zuliess. Wichtig war die Schichtung der Sitzkissen und der offensichtliche Komfort. Der klassische Look sollte auch in die Gestaltung mit einfliessen.

Bei «Lomi» haben Sie mit Silikonwolle eine ökologische Alternative zu Daunen gefunden. Wie wichtig ist der Nachhaltigkeitsgedanke bei Ihrer Arbeit?
MH: Für mich persönlich sehr wichtig, da ich auch im Privaten auf tierische Produkte verzichte. Daher war besonders die Alternative zu Daunen eine Entscheidung von Bolia, die ich sehr unterstützt habe. Ich würde bei dem Thema Nachhaltigkeit auch eine Differenzierung zwischen «ökologisch vertretbar» (grüner Fussabdruck) und «moralisch vertretbar» (Ausbeutung von Mensch und Tier) unterscheiden. Letzteres wird im Nachhaltigkeitskontext weniger klar formuliert. Wenn wir aber die Umwelt schützen, sollten wir uns bewusst sein, dass die Bekämpfung von Ausbeutung ein Teil dessen sein muss. Der Verzicht auf Daunen würde ich als moralische Entscheidung einordnen, die ich sehr begrüsse.

Spüren Sie einen Druck von aussen, dass das Thema Nachhaltigkeit auch bei Kunden und Käufern wichtiger wird?
MH: Natürlich. Und das ist vielleicht die stärkste Macht. Der Druck auf die Branche wächst, sodass immer mehr Unternehmen gezwungen sind umzudenken. Leider gibt es zunehmend auch «Green Washing», wenn Nachhaltigkeit reine Marketingstrategie ist und Produkte nur vermeintlich ökologisch produziert sind. Deshalb sollte der Konsument immer kritisch hinterfragen.

Sofa «Lomi» von Meike Harde für Bolia.

Klassisch und elegant zugleich präsentiert sich das neue Sofa «Lomi».

Sie haben nebst Möbeln auch viele Wohnaccessoires im Portfolio. Was liegt Ihnen mehr – kompakte Möbelstücke oder filigrane Accessoires?
MH: Meine Kernkompetenz und Leidenschaft sind Polstermöbel oder textile Produkte. Ich habe mir während und nach dem Studium autodidaktisch Fähigkeiten in Näh- und Schnittführung angeeignet, die ich konstant erweitere. Ein gelungener Sofaentwurf ist für mich ein Zusammenspiel einer ausgewogenen Proportion des Polsterkörpers und bewusster Nahtführung. Dennoch schätze ich auch den Entwurf einfacher Accessoires, welche ganz andere Anforderungen abverlangen. Der Entwurfsprozess ist ein anderer mit einem eher intuitiven Anspruch. 

Sie spielen bei Entwürfen oft mit geometrischen Formen. Ist dies Zufall oder eine besondere Vorliebe von Ihnen?
MH: Eine Konzentration auf geometrische Formen ist eine spannende Herangehensweise. Dabei wird das Produkt im Prinzip so weit wie möglich reduziert und erhält einen abstrakten Charakter. Das Produkt ist vielmehr Objekt oder Skulptur. Mein Stil enthält diese Produkte, die rein geometrisch arbeiten. Je nach Produkt und Aufgabenstellung ist dies möglich. Ich möchte mich aber nicht darauf beschränken, da man natürlich formal und im Gebrauch eingeschränkt wird. 

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Bolia?
MH: Ich habe den damaligen Artdirektor von Bolia in Mailand im Salone Satellite kennengelernt – einen Bereich der Möbelmesse, in dem junge DesignerInnen kleine Standflächen anmieten, um Prototypen auszustellen. Man zeigt konkrete Entwürfe aber auch seine Kompetenz und seinen Stil. Nach dem Kennenlernen habe ich erfolgreich einige Entwürfe für die kommende Kollektion bei Bolia eingereicht.

An was arbeiten Sie aktuell?
MH: Ich arbeite an weiteren Polstermöbeln, Accessoires und Leuchten. Im Herbst wird eine grössere Polsterserie bei einem namhaften deutschen Unternehmen sowie bei einem Bestandskunden präsentiert. Je nach Andauern der Coronakrise ist für Frühjahr die Veröffentlichung einer textilen Leuchte sowie weitere Polsterprodukte und Kleinmöbel bei neuen Kunden geplant.

Wir befinden uns in einer ausserordentlichen und herausfordernden Zeit. Wie gehen Sie als selbstständige Designerin mit dieser Situation um?
MH: Ich versuche, so positiv wie möglich zu sein. Es hat etwas Zeit benötigt, die Veränderungen und Einschränkungen zu akzeptieren. Und es wird natürlich eine negative Auswirkung auf Einkommen (durch Lizenzzahlungen) und das Platzieren neuer Produkte geben. Dennoch nehme ich die momentane Krise als Chance der Entschleunigung wahr, mich noch intensiver mit der Entwicklung meiner Entwürfe zu beschäftigen und neue Ideen umzusetzen.

Sofa Lomi für Bolia in Tannengrün.

Das Sofa kommt in verschiedenen Grössen und kann farblich den eigenen Wünschen angepasst werden – hier in Tannengrün ...

Sofa Lomi für Bolia in Zartrosa.

... oder in einem sanften Rosa.

Was sind zurzeit die grössten Herausforderungen für Sie? 
MH: Mit der Ungewissheit zu leben, wann man wieder KundenInnen und Messen besuchen kann. Im Privaten bin ich eher entspannt und geduldig.

Hat sich aktuell etwas an Ihrem Arbeitsalltag verändert? 
MH: Einige Entwicklungen sind pausiert oder verlangsamt, man wartet z.B. länger als üblich auf Antworten von Zulieferern oder die Fertigstellung von Prototypen. In der Kommunikation mit KundenInnen herrscht ein deutlich persönlicherer Umgang. Die menschliche Seite kommt mehr zum Vorschein als bisher. Man sorgt sich um den anderen und tauscht sich im Gespräch mehr über private Dinge aus. Ein Effekt der Krise, der eine wirklich schöne Seite zum Vorschein bringt.

Werden Sie kreativer oder lähmt die Unsicherheit Ihren Arbeitsprozess?
MH: Ich bin tatsächlich kreativer. Durch die verlangsamte Arbeitsweise wird man selbst ruhiger. Und in ruhigen Phasen kommen dann mehr Ideen, weil man dem Geist Raum gibt. Ich beschäftige mich wieder mehr mit freien Projekten und selbst gestellten Aufgaben. Gleichzeitig steigt der innere Drang, diese umzusetzen. Da dies zeitlich möglich ist, ist man kreativer und produktiver.

Was macht die aktuelle Lage mit Ihnen und Ihrer Arbeit. Hat diese einen Einfluss auf zukünftige Projekte, auf Ihre Denk- oder Arbeitsweise?
MH: Im Arbeitsalltag ist man viel beschäftigt und abgelenkt. Da ich mich zurzeit auf rein kreative Arbeit konzentrieren kann, wird mir wieder bewusst, wie sehr ich meinen Beruf schätze. Ich denke, dass ich dieses Bewusstsein über die Krise hinaus bewahren kann und es mir hilft durch stressige Zeiten zu kommen.

Welche Gedanken beschäftigen Sie im Moment am meisten?
MH: Wann man wieder zur Normalität zurück kommt? Mir ist aber bewusst, dass dies noch lange dauern wird. Und wie wird der Markt auf die Krise reagieren? Wird er vorsichtig sein oder gibt es sogar einen Aufschwung, wie man ihn aus anderen Krisen in der Vergangenheit kennt?

Wird sich durch die Corona-Krise etwas in der Designbranche verändern? Oder was sind Ihrer Meinung nach mögliche Chancen für die Branche, die aus der Krise entstehen können?
MH: Da zurzeit keine Messen stattfinden, kann ich mir vorstellen, dass der klassische Messeauftritt hinterfragt wird. Manche Unternehmen sahen in den letzten Jahren schon eine deutliche Verschlechterung der Resonanz nach einer Messeteilnahme. Das digitale Marketing rückt stärker in den Vordergrund. Um in Zukunft als Unternehmen für Konsumgüter auf dem Markt zu bestehen, ist die Digitalisierung und das Storytelling wichtiger denn je. Das einzelne Produkt bekommt mehr Aufmerksamkeit und verschwindet nicht in einer unübersichtlichen Kollektion. Dementsprechend wird auch die Arbeit der beteiligten Berufsgruppen wie JournalistInnen, BloggerInnen, aber auch FotografInnen oder 3D Artisten mehr gefragt sein.

www.meikeharde.com

Die «Totem»-Pflanzengefässe von Meike Harde sind ebenfalls bei Bolia zu finden.

«Silent» ist ein minimalistisch Sideboard in eleganter Holzverkleidung.

Neu sind ebenfalls die «Balloon»-Leuchten.