Abseits des Stadtzentrums, im Florentiner Stadtteil Novoli, liegt die Manifattura Tabacchi. Die ehemalige Tabakfabrik hat sich nach einem Umbau in ein Schmuckkästchen für Kunst und Kultur verwandelt. Der moderne Stil auf dem Gelände ist ein einzigartiges Projekt in der ansonsten von Renaissancearchitektur geprägten Stadt Florenz.
Nachdem Italien im Jahr 2001 die staatliche Tabakproduktion in der Fabrik eingestellt hatte, stand die Manifattura lange Zeit leer. Was 15 Jahre später übrig blieb, waren in die Jahre gekommene Fabrikhallen – Ruinen mit Charme und Industriegeschichte. Zwischen den baufälligen Hallen und Gebäuden der 1930er-Jahre wucherte wildes Grün. Doch die nüchterne Industriearchitektur bot Potenzial für eine Umgestaltung.
2016 begannen die Umbauarbeiten. Für das Studio q-bic und die Architekten Luca und Marco Baldini war es ihr bislang grösstes Projekt. Das Konzept der beiden Architekten sollte den bestehenden Räumlichkeiten Respekt zollen. Die Planung der beiden sah keinen Abriss vor, vielmehr ging es darum, die Substanz zu erhalten und die damalige Architektur zu bewahren und neu zu inszenieren. Wer einmal die New Yorker Highline besucht hat, den lässt der Stil der Manifattura vermutlich in Gedanken schweifen. Die Geschichte und der Charakter der einstigen Industriegebäude bleiben im Neubau erhalten.
Den «industriellen Touch» verleiht der Manifattura allen voran die Verwendung von Materialien, die heutzutage ihren Platz haben, aber zugleich auch an die Industrialisierung erinnern. Schwarzes Eisen beispielsweise, das bereits zu Industriezeiten in der Toskana in Gebäuden vorzufinden war, wird heute noch genauso verbaut. Die verwendeten Materialien finden sich an vielen Stellen wieder. Weitere formgebende Elemente sind die Holzfussböden. Diese, so Luca Baldini, sind hervorragend gelungen und runden die Gebäude ab.
«Wir wollten einen modernen regionalen Akzent setzten, ohne die bestehende Architektur zu verfälschen.»
Ein Schmelztiegel von Design, Kunst und Kultur
Nach dem Abriss einiger Einbauten bedienten sich die Architekten auch an deren Resten. So findet man in den Büros, die später vermietet werden sollen, frei stehende Betonträger oder einen Tresen im Eingangsbereich der Büros, der aus einem Reststück zum Möbelstück umfunktioniert wurde. Neben dem Entwerfen und Bauen betreibt das Studio q-bic auch einen eigenen Design Concept Store. Im «Zoo-Design» werden exklusive High-End-Designstücke ausgestellt. Ein gutes Beispiel für die «Residencies», die Geschäfte, Restaurants und Galerien, die die Manifattura beherbergt. Die Vielfalt der Konzepte mit einem klaren Fokus auf zeitgenössisches Design und Kultur spiegelt sich in den individuell gestalteten Räumlichkeiten wider. So finden sich auf dem Gelände beispielsweise der Hutmacher «Superduper», der in der Manifattura selbst Hüte nach traditioneller Handwerkskunst herstellt, oder die Modeboutique von Alessandra Lunedì, in der die Designerin ihre eigenen Kollektionen präsentiert.
Auch der aus Florenz stammende Künstler Duccio Maria Gambi hat hier sein Atelier. Gambi, der seine Arbeit als Schnittstelle zwischen Kunst und Design versteht, nutzt die Räumlichkeiten, um seine eindrucksvollen Objekte zu präsentieren. Mit einer Vorliebe für das Unkonventionelle zeigt er in seiner Galerie Arbeiten, die sich nicht immer durch ihre Funktionalität definieren, sondern durch Ästhetik, Konzept und die kreative Auseinandersetzung mit Materialien. In Gambis Atelier stehen die Schönheit des Materials und seine transformative Kraft im Vordergrund. Die Räumlichkeiten der Manifattura, sagt Gambi, eignen sich dafür hervorragend. Die eindrucksvolle Architektur unterstützt seine Objekte und dient als perfekter Hintergrund, um Gambis Werke in Szene zu setzen. Hier stellt er sie unmittelbar nach ihrer Fertigstellung aus. In diesem Sinne bietet Duccio Maria Gambi in seinem Atelier nicht nur eine Ausstellung, sondern auch einen Einblick in seinen künstlerischen Schaffensprozess.
«Die Räumlichkeiten in der
Manifattura dienen als Leinwand, die
meine Arbeit wunderbar darstellt.»
Industrie-Chic und Natur im Zwiegespräch
Aber nicht nur Geschäfte haben sich in der Manifattura angesiedelt, sondern auch Bildungseinrichtungen wie die renommierte Modeschule Polimoda. Die Polimoda plant, in den nächsten Jahren den Grossteil ihrer Fakultäten in die Gebäude zu verlegen. Wer über das Gelände schlendert, bemerkt schnell die Präsenz der Studierenden. In den Cafés und auch auf den Grünflächen – die Bepflanzungen sind ein zentraler Bestandteil des Campus – tummelt sich ein junges, hippes Publikum.
«Dank einer gemeinsamen Vision
und Gebäudephilosophie entstand eine
harmonische Zusammenarbeit.»
«Mein Wunsch war, dass der Garten
sich anfühlt wie eine
behütende Umarmung – ein Ort
der Entspannung.»
Die Bepflanzungen wurden vom Landschaftsarchitekten Antonio Perazzi entworfen und harmonieren perfekt mit der Architektur des Studios q-bic. Industrieller Chic erhält so eine selbstverständliche Verbindung zur Natur. Perazzi
betont, dass die enge Beziehung zwischen Pflanzen und Architektur auch eine seiner wichtigsten Inspirationsquellen war. Vor der Umgestaltung sei die Manifattura ein urbaner Dschungel gewesen, in dem die Pflanzen eine zentrale Rolle gespielt haben. Die Erneuerung der Bepflanzung basierte dann auf dem Dialog zwischen der strengen Industriearchitektur und der Natur. Ein Grossteil der Bepflanzung wurde von der oft unterschätzten florentinischen Landschaftsund Gartenkultur inspiriert. Neben der konzeptionellen Mitarbeit und der Bepflanzung des gesamten Geländes hat Perazzi auch einen Garten angelegt. Dieser befindet sich inmitten der Manifattura auf dem Dach eines Gebäudes, das für Ausstellungen und Veranstaltungen vorgesehen ist. Der Garten ist eine Mischung aus mediterranen Pflanzen und klassischer florentinischer Gartenkultur. Perazzi, zufrieden mit dem Ergebnis, nennt ihn eine grosse Umarmung, einen Ort der Ruhe. Innerhalb der Fabrikmauern der Manifattura Tabacchi ist so ein Ort entstanden, der Vergangenheit und Zukunft vereint. Ein Ort der Kreativität, an dem Bildung auf Design und Kunst trifft. Das Ergebnis ist ein pulsierendes Beispiel für einen modernen kulturellen Anziehungspunkt.