Steigt man am Bahnhof Horgen am Südufer des Zürichsees aus dem Zug, sieht man sich konfrontiert mit mancherlei Bausünden der 1970iger und 80iger Jahren, gesichtslose Gewerbe- und Shoppingkisten, hinter deren überdimensionierten Volumina der einstige Ortskern verschwunden zu sein scheint.
Kehrt man aber dem Bahnhof den Rücken und folgt der längs der Gleise verlaufenden Seegartenstrasse in Richtung Ortsrand, landet man unversehens in einer anderen Welt: Historische Anwesen am Seeufer, Villen des späten 19. Jahrhunderts umgeben von parkartigen Gärten mit uralte Zedern und Pinien, ausladenden Platanen, man wähnt sich in einem südländischen botanischen Garten. In dieser beinah mediterran anmutenden Kulisse fällt der Blick auf eine Zeile aus fünf gereihten Häuern mit markanter kupferfarbener Fassade und pultförmigen Dächern. Aber sind das tatsächlich Reihenhäuser? Das erste der Häuser ist an seiner Stirnseite kaum drei Meter breit, es läuft so schmal zu, dass Strassen- und Seefassade fast auf einander treffen.
Schauseite aus pultförmigen Giebeln
Hinter dem räumlichen Rätsel dieser Häuserzeile mit ihren shed-artigen Giebeln stecken ein geschicktes Spiel mit architektonischen Bildern und ein kleines, keilförmiges Grundstück, das dessen Eigentümer, der Specogna Immobilien AG, zunächst kaum verwertbar erschien.
Die Zürcher Architekten Züst Gübeli Gambetti standen mit dem Projekt «Beach Houses» vor der schwierigen Aufgabe, auf diesem begrenzten Terrain mehrere Wohnungen zur Miete zu errichten. Das östliche Ende der Reihe umfasst zwei Giebel; der letzte, schmal zulaufende, begrenzt nur noch den Raum des Wohnzimmers. Das Ziel waren Wohnungen, die den knappen Raum optimal nutzen, ihren Bewohnern aber dennoch das Gefühl vermitteln, in einem eigenen Haus mit Gärtchen am See zu wohnen. Weil diese Häuserzeile in der zweiten Reihe liegen wird, verzichtete man zudem auf Balkone und Terrassen – ungewöhnlich genug in dieser Lage. Dennoch fanden sich schnell Mieter: Vor allem Expats, die berufliche Gründe nach Zürich geführt haben, zogen hier ein, aber auch eine ganz normale Familie aus der Gegend.
Ein kleines Raumwunder
Im Inneren sind die Wohnungen offen über drei Etagen organisiert. Im gut belichteten Untergeschoss befinden sich Hauswirtschaftsräume und der Zugang zu Tiefgarage; auch für ein Home-Office wäre dort Platz. Im Erdgeschoss betritt man die Reihenhausapartments im Bereich des Ess- und Kochbereichs, hinter der Treppe zum Obergeschoss gelangt man in den behaglichen Wohnbereich, der durch drei Stufen nach unten geschickt vom übrigen Erdgeschoss separiert wird. Über die beiden Geschosse verteilt verfügen die Einheiten (ohne Untergeschoss) lediglich über 58 bis 98 Quadratmeter. Dennoch wirkt hier nichts beengt. Ein kleines Raumwunder: Durch den Split-Level und die den Raum zusätzlich gliedernden Treppen gewinnt das Erdgeschoss klar unterscheidbare Nutzungszonen und Raumcharaktere. Das liegt auch daran, dass der eigentliche Wohnraum beherrscht wird vom Fenster zur Seeseite, das einem riesigen Bildschirm gleich die Rückwand des Gebäudes in voller Breite ausfüllt. So bildet die Wohnzone ein visuelles Kontinuum mit dem Aussenbereich, der Landschaft des Seeufers. Der Wohnraum ersetzt gewissermassen eine Loggia, denn er ist zugleich Loggia. Sein Sockelbereich besteht aus sandgestrahltem Ortbeton; der Boden ist mit Anhydrit, einem fugenlosen terrazzoartigen Material ausgegossen, das weniger kühl als Betonboden ist und eine angenehme Haptik besitzt. An der Seeseite lädt ein breites Fensterbrett zum Verweilen ein. Hier könnte man stundenlang sitzen und zuschauen, wie sich im Lauf des Tages das Licht und die Farben des Sees verändern.
In den drei grösseren Einheiten verfügt das Obergeschoss über zwei Zimmer, in den kleine bildet es einen fliessenden Raum, von dem nur das Bad abgetrennt ist. Kräftig dunkelblaue Fliesen wecken in den Bädern die Erinnerung an den Glanz historischer Bäder. Im Obergeschoss wirkt die gezackte Dachform raumbestimmend, indem sie ein Moment von kristalliner Vieleckigkeit in die Räume bringt.
Perfekt gefügte Einbauten
Mit der Ausstattung trägt das architektonische Konzept der Zielgruppe von solventen Bewohnern auf Zeit Rechnung: Weil man ahnte, das viele der Interessenten ohne nennenswertes Mobiliar einziehen würden, sind die Wohnungen auf beiden Etagen mit geschickt in die asymmetrischen Volumina eingefügten Wandregalen und Wandschränken ausgestattet. Es macht einfach Freude, die Finger über die in Eiche ausgeführten, perfekt gefügten Fronten gleiten zu lassen. «Eigentlich kann man hier nur mit einem Rollkoffer ankommen und gleich einziehen», erklärt Bauherrin Elizabeth Specogna lächelnd. Es fehle an nichts. Für zwei der Wohnungen entwickelte sie zugleich das Interior-Konzept, während die Architekten für die interne Grundstruktur verantwortlich zeichnen. Sie ist gleichermassen klar und raffiniert.
Damit die begrenze Fläche möglichst frei und luftig bleibt, entwickelten die Architekten das Konzept der Raumschotte: Im Erdgeschoss bündelten sie die Küchenzeile und die geräumigen Wandschränke als ein etwa 70 cm tiefes Volumen auf der linken Raumseite, das vom Eingang bis zur Gartenfassade durchläuft. Die Raumschotte bricht durch ihre Nischen und Fugen die Längsbetonung des Hauptwohnraums. Vor allem erlaubt dieser Kunstgriff, dass das Fenster im Innenraum von Wand zu Wand reicht, die weiss gerahmten Fensteröffnungen an der Seefassade jedoch klar geschiedene Felder bleiben, wodurch das Bild einzelner Häuser unterstrichen wird.
Die messingfarbene Fassade mit ihrer Rippenstruktur, die symmetrisch gereihten Fensterflächen der Seeseite und das angedeutete Sheddach sind eine Reminiszenz an die einst industrielle Prägung des Standortes.
Nachdem ein Volksentscheid zur sogenannten Zersiedlungsinitiative in der Schweiz 2013 zu dem politischen Grundsatzentscheid führte, der Verdichtung bestehender Siedlungsgebiete den Vorzug zu geben vor einer Neuerschliessung von Bauland, geht von einem Projekt wie diesem auch ein baukulturelles Signal aus: Exklusives, individuelles Wohnen «in den eigenen vier Wänden» lässt sich vereinbaren mit einem minimalem Flächenverbrauch und der Nutzung von innerörtlichen Restgrundstücken. Nachhaltiger und zeitgemässer kann man den Traum vom Haus am See wohl kaum verwirklichen.
Architekturbüro: Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau AG