«Ohne Licht würde der Mensch nicht funktionieren»

Interview mit Lichtexpertin

Hoch über dem Dorf Bottenwil AG liegt der schlichte Bau­körper. Die Aussicht in die Landschaft ist von allen Seiten atem­beraubend.

Eine einläufige Treppe führt vom Eingangsbereich auf Strassen­niveau hinauf zum Wohnbereich, stets dem Licht entgegen.

Die Dachfenster der Serie «Integra» von Velux sind KNX-gesteuert und können automatisch verdunkelt und auch geöffnet werden. Hier die Variante mit Sonnenschutz aussen.

Unter dem Dach sind Wände und Decken mit unbehandeltem Täfer aus Weisstanne verkleidet. Die sägerauen Dielen sind aus demselben Holz gefertigt.

Die Studie, die Velux mit dem Meinungsforschungsinstitut YouGov realisiert hat, zeigt auf, dass Menschen viel mehr Zeit in geschlossenen Räumen verbringen als angenommen. Wir haben mit Carina Grafetstätter, Spezialistin, wenn es um Tageslicht in Bezug auf unsere Gesundheit geht, gesprochen.

Welchen Einfluss haben Tageslicht und Frischluft auf das menschliche Wohlbefinden?
Carina Grafetstätter:
Ohne Licht würde der Mensch nicht funktionieren. Der suprachiasmatische Nucleus im Hypothalamus schüttet bei Dunkelheit ermüdende, bei Licht, insbesondere bei blauem, aktivierende Hormone aus und ist unser wichtigster Taktgeber, sozusagen unsere biologische Uhr.

Was passiert mit uns, wenn wir zu wenig am Tageslicht oder an der frischen Luft sind?
CG:
Setzen wir uns nachts einer Belichtung aus, so bringen wir unseren Biorhythmus aus dem Takt. Dies beeinflusst massiv unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Zu wenig Schlaf durch Melatoninmangel schwächt unser ­Immunsystem, führt zu hormon­bedingter Gewichtszunahme, zu Konzentrationsproblemen sowie ­einer reduzierten Merkfähigkeit. Aber nicht nur übermässige Belichtung bei Nacht, sondern auch ein Mangel an Tageslicht kann über hor­monelle Regelkreise negative physiologische und psychologische Auswirkungen haben.

 

Im ganzen Haus wechseln sich offene und geschlossene Flächen ab, und immer wieder wird man zum Licht geführt.

Wie können Architektur und Bauweise von Gebäuden dieser negativen Entwicklung entgegenwirken?
CG:
 Natürliches Tageslicht variiert zeitlich in seiner Frequenzintensität und ist mit einer Farbtemperatur von 5000 bis 10 000 Kelvin hell und kalt – beides Eigenschaften, für die das Kunstlicht keinen vollständigen Ersatz bietet. Die bestmögliche Belichtung von Räumlichkeiten durch natürliches Tageslicht sollte daher in der Planung von Gebäuden stets berücksichtigt werden. Je besser wir uns an den natürlichen Rhythmus der Sonne und somit unsere innere Uhr anpassen, desto ­gesünder und leistungsfähiger sind wir. ­Wegen der lokalen Anordnung der Photorezeptoren in unseren Augen ist zum Beispiel von oben einfallendes Licht am effektivsten. Dachfenstern fällt deshalb eine besondere Rolle zu. Von oben eingebrachtes Licht ist biologisch effektiver. Die Beleuchtung beeinflusst massiv unser Wohlbefinden und unsere Leistung. Der Einsatz von Kunstlicht muss an die Anforderungen der Tätigkeiten angepasst werden und sollte sowohl aktivierende (blaues Licht) als auch entspannende (rotes Licht) Momente schaffen. Übermässige Belichtung sowie die Nutzung von Tablets und Smartphones ohne Blaulichtfilter in der Nacht können zu Störungen führen und das Risiko erhöhen, psychische Probleme zu entwickeln oder an modernen «Lifestyle-Diseases» wie Übergewicht, gewissen Krebsformen oder  Diabetes zu erkranken. Die bestmögliche Nutzung von natürlichem Tageslicht sowie der gezielte situations-, aufgaben- und tagesabhängige Einsatz von Licht, insbesondere von blauem Licht, verbessert deutlich die Leistungsfähigkeit und das individuelle Wohlbefinden.

«Je besser wir uns dem natürlichen Rhythmus der Sonne und somit unserer inneren Uhr anpassen, desto gesünder und leistungsfähiger sind wir.»

Überrascht Sie das fehlende Bewusstsein für die starke Innenraumluftverschmutzung?
CG:
 Nein, dies überrascht mich keineswegs, dennoch ist es erschreckend, wie wenig uns manche Dinge bewusst sind. Die Frage, wie viel wir uns drinnen aufhalten, ähnelt für mich der Frage, wie lange man täglich in sein Smartphone schaut. Ich glaube, dass auch hier die subjektive Einschätzung weit daneben liegt. In den Medien ist das Thema Innenraumluftverschmutzung wenig präsent. Da wird eher der Eindruck vermittelt, dass wegen Diesel, Feinstaub & Co. die Fenster gar nicht erst geöffnet werden sollen. Auf die Belastung und die Quellen im Innenraum wird kaum hingewiesen. Gerade deswegen sind derartige Studien so wichtig. Sie dienen als Spiegel der Gesellschaft und können Bewusstsein für viele Fakten schaffen.

Ein grosser, fliessender Lebensraum: Hier verwendete der Architekt Juri Troy als Wandverkleidung Schalungsplatten aus Seekiefernsperrholz.

Von der Küche gelangt man auf einen geschützten Aussen­bereich und eine kleine Terrasse. Die Küchenzeile wird unter freiem Himmel zum Beton­element mit Grill und Arbeitsfläche.

Die Reportage zum Wohnhaus in Bottenwil mit weiteren Fotos und Pläne finden Sie in der November Ausgabe von Das Ideale Heim.