«Mir ist es am wichtigsten, dass sich Gäste wohlfühlen»

Modiste Studio: Interview mit Marick Baars

Mann im Atelier

Marick Baars kommt ursprünglich aus Rotterdam. Seit 2014 lebt und arbeitet er in der Hauptstadt.

Der Ausblick aus dem grossen Atelierfenster in den fünften Etage vermag auch alteingesessene Berliner nicht zu beeindrucken: Direkt gegenüber steht das unnachahmlich elegante, rhythmisch schwingende «Shell»-Haus aus den frühen 1930er-Jahren. Daneben James Stirlings' postmodern gestreiftes Wissenschaftszentrum und, gerade noch zu sehen, die Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe. Dahinter erhebt sich wie eine grüne Wand der Tiergarten. Marick Baars liegt bei der Arbeit ein Stück Berlin zu Füssen. Die Niederländer kam 2013 aus Rotterdam in die Stadt und entwirft unter dem Namen Modiste Studio Inneneinrichtungen für Restaurants und Cafés, für Länden und Co-Working-Räume. Im Auftrag der Berliner Kaffeerösterei Bonanza hat er kürzlich deren vierten Coffeeshop gestaltet. Dem langen, grauen Berliner Winter entflieht der studierte Grafikdesigner mittlerweile nach Südfrankreich, in St. Moritz arbeitet er gerade an seinem ersten Schweizer Projekt. Seine Innenarchitekturen sind angenehm leise, das Modisch-Laute liegt ihm nicht. Marick Baars verwendet am liebsten natürliche Materialien mit unbehandelten Oberflächen, die gerade nicht vollkommen und ebenmässig sind. 

Der Rechner ist lediglich Arbeitsgerät – der studierte Grafikdesigner liebt die analoge Welt.

Die Freude von Baars an Materialien und Details ist im Atelier überall spürbar. 

David Bowie wacht über das Modell eines Mercedes-Cabrios. Marick Baars fährt bevorzugt alte Autos.

Du lebst in Berlin und seit Kurzem auch in Südfrankreich. Welche Bedeutung hat dieses Atelier als Arbeitsraum für dich?

Marick Baars: Seit der Pandemie arbeitet mein Team häufig von zu Hause oder von anderen Orten aus. Das Studio als zentraler Arbeitsplatz hat dadurch an Bedeutung verloren. Es ist jetzt zu einem Ort geworden, an dem man sich trifft, über Projekte nachdenkt, Prototypen testet. Ich persönlich arbeite aber nirgendwo effizienter als hier.

Warum?

MB: Es fehlt an Ablenkung. Die Nachbarschaft ist eher ruhig es gibt hier keine netten Cafés oder Restaurants. In der fünften Etage ist man auch nicht so verbunden mit der Strasse. Ideal, wenn man konzentrierte Arbeit erledigen möchte. Ich kann hier gut zehn, zwölf Stunden arbeiten.

Ursprünglich bist du aus Rotterdam. Was hat dich nach Berlin geführt?

MB: Die kurze Antwort: Partys und Musik. Die ausführlichere Antwort: Ich habe Modiste Studio 2011 in Rotterdam gegründet, habe aber schnell gemerkt, dass es in den Niederlanden damals gar nicht die richtige Zielgruppe gab. Das lag daran, dass ich mich schnell auf die Einrichtung von Cafés und Restaurant spezialisiert hatte. Aber in den Niederlanden wurden die meisten Gastronomie-Projekte von Brauereien finanziert, und die brachten ihre eigenen Architekten mit. In Berlin dagegen gab es viele Unternehmer in meinem Alter, sie hatten konkrete Vorstellungen und waren auch bereit, sich mal auf ein Experiment einzulassen.

Was vermisst du in Berlin?

MB: Nicht viel eigentlich. Höchstens das Arbeitsethos vielleicht. In Rotterdam arbeiten die Leute wirklich hart. Deshalb haben wir auch immer noch viele Lieferanten aus den Niederlanden. Anstatt einen Auftrag gleich abzulehnen, sagen sie: Das bekommen wir hin!

Atelier in Südfrankreich

Bevor Marick Baars hier einzog, war der Raum in der fünften Etage lange ein Künstleratelier. 

Materialproben

Jeder freie Zentimeter Ablagefläche im Atelier wird mit Materialproben und Fundstücken bespielt

Wenn du einen neuen Auftrag für eine Innenarchitektur bekommst, wie fängt du an?

MB: Für mich ist es das Wichtigste, herauszufinden, was ein Auftraggeber möchte. Natürlich gibt es gewisse Ähnlichkeiten zwischen meinen Projekten, die Art und Weise, wie ich Materialien verwende zum Beispiel. Aber in erster Linie geht es darum, die Geschichte des Kunden zu erzählen. Gerade in der Gastronomie haben die Auftraggeber*innen eine klar definierte Geschichte, eine Vision. Sie haben genau durchdacht, was für eine Innenarchitektur sie brauchen. Und ich setze meine Fähigkeiten und Kompetenzen ein, um diese Vision zu unterstützen. Gerade arbeite ich an meinen ersten beiden Wohnprojekten, und ich merke, da geht es viel mehr um Persönlichkeit. Es ist eine Herausforderung, sich darüber klar zu werden , was den Auftraggeber*innen gefällt. Ich will ja nicht einen Entwurf machen und die einfach durchdrücken. 

Wie würdest du deine Arbeitsweise beschreiben?

MB: Sehr material- und detailorientiert. Mir geht es nicht um die beeindruckende Skizze oder das grosse Konzept. Ich fange eher klein an. Ich versuche den Raum zu verstehen. Was bringt er mit, was fehlt noch? Bei mir kann ein Raumkonzept auch schon mal aus einer Holzverbindung heraus entstehen. Was für eine Art Holz ist es und wie wird es miteinander verbunden? Wenn man klobiges Massivholz nimmt beispielsweise, dann entsteht ja ein bestimmter Stil. 

Unterscheidet dich das von anderen Studios?

MB: Ich weiss, dass vielen Architektinnen und Architekten eine eindrucksvoller Grundriss sehr wichtig ist. Für mich ist der Grundriss einfach das notwendige Raumprogramm. Ich sorge dafür, dass der Auftraggeber bekommt, was er braucht, und berate ihn auch. Aber der Grundriss entsteht im Laufe des Prozesses, er ist nicht Ausgangspunkt eines Entwurfs. Es sind die Materialien, die Farben und die Verarbeitung, die einer Innenarchitektur ihre Identität geben. 

 

Die beiden Küchenmodule aus Holz und Marmor hat Marick Baars ebenfalls selbst entworfen.

Die Galerie hat Baars' Vormieter einbauen lassen, das Regal darunter ist ein Eigenentwurf. 

Weil es kaum Ablenkungen gibt, arbeitet Baars in seinem Berliner Studio am effizientesten.

Wenn du auf der Baustelle eines deiner Projekte bist, worauf achtest du besonders?

MB: Auf die Details! Ich achte am meisten darauf, auf welche Weise zwei verschiedene Elemente miteinander verbunden werden, wie sie in der Architektur aufeinandertreffen. Etwa, wie ein Stromkabel aus der Wand kommt und in einer Steckdose verschwindet. 

Welche Atmosphäre versuchst du in deinen Gastronomie-Projekte für die Gäste zu erzeugen?

MB: Mir ist es am wichtigsten, dass sich die Gäste wohlfühlen. Dafür müssen die Elemente der Innenarchitektur im richtigen Verhältnis zueinander stehen. Es darf nicht zu viel von dem einen oder dem anderen Material geben. Der Raum soll die Gäste nicht überwältigen. Deshalb versuche ich auch immer, die Gestaltung auf den menschlichen Massstab abzustimmen, etwa auf die Augenhöhe. Die Verbindung zweier Materialien sollte immer etwas über oder unter der Augenhöhe liegen. Solche kleinen Dinge sorgen dafür, dass Menschen sich wohlfühlen in einem Raum.

Berücksichtigst du auch die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter?

MB: Das ist mir sehr wichtig! Ich spreche viel mit der Belegschaft. Wie kann man de Arbeitsabläufe möglichst angenehm gestalten? Wie kann man die Ergonomie verbessern? Wenn sich ein Barista wohlfühlt am Arbeitsplatz, dann ist er vielleicht noch ein bisschen netter zu den Gästen. Und der der Kaffee schmeckt vielleicht auch noch ein bisschen besser. 

Du bist ein Liebhaber alter Dinge wie Vintage-Möbel oder Vintage-Autos. Was begeistert dich daran?

MB: Heute ist die Präzision in der Herstellung viel grösser, in den Fabriken kommen Roboter zum Einsatz. Aber an einem Autoklassiker gefällt mir gerade, dass nicht alles perfekt ist – perfekt im Sinne der objektiven technischen Vorgaben. In Sachen Atmosphäre und Lifestyle aber sind alte Autos für mich absolut perfekt.

www.modistestudio.com

Café der Bonanza-Kaffeerösterei an der Alten Schönhauer Strasse, Berlin.

Café der Bonanza-Kaffeerösterei am Gendarmenmarkt, Berlin. 

Restaurant Héroine in Rotterdam.