Ligia lebt in einem multikulturellen Quartier von Genf. In ihrem Atelier trifft man überall auf Arbeiten von befreundeten Künstlerinnen und Künstlern. Sie kultiviert den künstlerischen Austausch auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Ihre Arbeit lässt sich schwer kategorisieren. Sie arbeitet einerseits als Freelancerin für Kunden im Modebereich und entwirft auch Schmuck und Objekte unter ihrem eigenen Namen. Regelmässig kuratiert sie zudem Ausstellungen, dazu gehört ihr eigenes Ausstellungsformat «The Corner Piece». Dieses mehrgleisige Arbeitsmodell hat sich eher zufällig so ergeben. Die gelernte Grafikerin begann vor zwanzig Jahren im Rahmen ihrer Tätigkeit im Modebusiness mit dem Schmuckmachen. Ein Blick auf ihren Arbeitsplatz zeigt ihre vielfältigen Inspirationsquellen. Massenproduktion interessiert sie nicht, sie mag es, alles selber zu machen und eigene Techniken zu entwickeln. Mit ihren Schmuckarbeiten hinterfragt sie gängige kulturelle Codes. Es ist eine Form der Kreation, in der Leben und Kunst zu einem Ganzen verschmelzen.
Du hast schon zu Beginn deines Werdegangs transdisziplinär gearbeitet. Kannst du zu deiner ersten Ausbildung an der ECAL etwas erzählen?
Ligia Dias: Ich habe Grafik studiert, aber bereits meine Abschlussarbeit war ein Hybrid zwischen Mode und Grafik. Ich habe eine Art Handbuch der zeitgenössischen Lebenskunst gestaltet. Dazu habe ich ein tragbares Accessoire aus Filz entworfen. Mode hat mich schon immer interessiert, auch aus soziokultureller Hinsicht. Vielleicht rührt mein Interesse für disziplinenübergreifende Phänomene von meinem gemischten kulturellen Hintergrund. Ich bin in der Schweiz aufgewachsen, meine Eltern sind aus Portugal. Beide haben eine Leidenschaft für schöne Dinge, das hat mich geprägt.
Du hast anschliessend in Paris studiert. Warum?
LG: Nach der ECAL habe ich ein Jahr lang als Grafikerin gearbeitet und gemerkt, dass mir das nicht genügt. Ich wollte meine Recherchen fortsetzen und Mode studieren. Ich besuchte in Paris auf Anraten der Grafiker und Künstler m/m eine kleine und experimentelle Schule. Weniger der technische Aspekt von Mode interessierte mich, eher der konzeptuelle.
Was geschah danach?
LG: Ich konnte schon während des Studiums ein Praktikum bei Lanvin machen. Das war zur Zeit der ersten Kollektion von Alber Elbaz. Danach engagierte er mich fest. Ich war vor allem beratend tätig. Das war eine grosse Chance für mich. Nach drei Jahren verliess ich Lanvin. Ich hatte viel gelernt, es war der richtige Moment. Danach habe ich neben meinen eigenen Entwürfen auch eine Zusammenarbeit mit der Genfer Künstlerin Mai-Thu Perret begonnen. Wir haben zusammen mehrere Ankleidepuppen aus Pappmaché sowie Kostüme entworfen.
Welche Rolle spielt bei dir das Thema Zusammenarbeit?
LG: Ich bin es mir zwar gewohnt, selbstständig zu arbeiten und alles von A bis Z alleine zu machen, aber ich brauche zugleich auch den Austausch mit anderen. Ich glaube, dass alles, was wir produzieren, nur im Dialog entstehen kann.
Diese Art zu arbeiten hat etwas Künstlerisches. Lässt du dich beim Entwerfen von deiner Intui-tion oder vom Zufall leiten?
LG: Definitiv, glückliche Fügungen spielen bei mir eine Rolle. Ich experimentiere auch viel und treibe Dinge an die Grenze. Auf diese Weise entsteht Neues. Das wäre nicht möglich, wenn ich nur auf ganz bestimmte Aufträge reagieren müsste, wie es Produkt-designer eher tun.
«Ich experimentiere viel und treibe Dinge an die Grenze.»
Es geht dir auch um die kreative Aneignung von bestehenden Techniken. Was fasziniert dich?
LG: Was mich interessiert, sind Gesten, nicht Formen. Ich mache auch keine Trennung zwischen unterschiedlichen kreativen Tätigkeiten. Ich koche auch gerne und mache Patisserie, das ist für mich im Grunde nichts anderes, als wenn ich Schmuck oder Objekte anfertige. Ich trenne diese Tätigkeiten auch auf Kanälen wie Instagram nicht. Mir ist es wichtig, dass meine Arbeit authentisch und aufrichtig bleibt. Ganz allgemein, bei der Kunst ist mir dieser Aspekt extrem wichtig.
Was inspiriert dich?
LG: Vieles! Die Liste der Namen ist endlos. Aber wenn ich drei Personen nennen müsste, deren Arbeit ich als genial erachte, dann wären es Martin Margiela, Enzo Mari und Bruno Munari. Und als Bonus Anni Albers mit ihrem genialen Collier, das mich zu meiner ersten Schmuckarbeit inspiriert hat. Diese Halskette war für mich eine Offenbarung.
Ist Schmuck für dich tragbare Kunst?
LG: Ja, meine Schmuckstücke haben einen konzeptuellen Anspruch.
Wie kamst du überhaupt zum Schmuckmachen?
LG: Nachdem ich Lanvin verlassen hatte, wollte ich zunächst eine eigene Prêt-à-Porter-Kollektion entwickeln. Ich wurde eingeladen, bei einer Ausstellung über Schweizer Kunsthandwerk im Centre Culturel Suisse in Paris mitzumachen und habe dort zum ersten Mal meinen Schmuck gezeigt, der ja einen totalen Do-it-yourself-Charakter hatte. Dass ich alles selber machen konnte, war ein wichtiger Aspekt. Daraufhin wurde ich von einem Pariser Luxuskaufhaus mit einer Schmuckkollektion beauftragt. Der Vertreter zeigte ihn auch verschiedenen Modehäusern, so kam ich zu einem Auftrag von Comme des Garçons. Das war der Anfang.
Heute arbeitest du auch mit Edelmetallen. Hat das etwas geändert?
LG: Nein, eigentlich nicht, es ist für mich das gleiche Storytelling. Von Anfang an habe ich mit den Prinzipien der Kontextverschiebung und des Kontrastes gearbeitet. Ich habe mich in der Nische Luxus-Modeschmuck positioniert. Es geht in meiner Arbeit um das Schaffen von Mehrwert.