Mode, Architektur, Kunst und die Automobilindustrie – und nicht Design – sind die Hauptinspirationsquellen von Alexis Tourron und Stefano Panterotto. Die beiden jungen Designer lernten sich an der ECAL beim Studiengang «MAS Design for Luxury & Craftsmanship» kennen und gründeten danach ein gemeinsames Büro. Dass sie nicht klassische Produktdesigner sind, zeigt sich bei unserem Besuch in ihrem Atelier im Industriequartier von Lausanne sehr schnell. Design sehen sie eher als Werkzeug, als kultureller Code an der Schnittstelle zu anderen Feldern. Das erklärt ihre transdisziplinären Interessen. Auch ihr gemischter Background zeigt, dass sie vor allem an den Geschichten und Fragestellungen rund um Produkte interessiert sind und nicht am Entwerfen eines Objekts allein. Stefano kommt ursprünglich aus der Architektur. Auch ihre unterschiedlichen Nationalitäten tragen zur «kulturellen Kontamination» in ihrer Arbeit bei, wie sie es ausdrücken. Das hindert sie nicht daran, auch ganz konkrete Produkte zu entwickeln. Ihre erste Kollektion zeigten sie dieses Jahr am Salone del Mobile in einer ehemaligen Panettonefabrik. «Alcova» ist ein kuratiertes Format, das verschiedene innovative Projekte aus der ganzen Welt zeigte. Das Motto der fünf Entwürfe ist «Tense», Spannung. Das bezieht sich einerseits auf das Konstruktionsprinzip der Stücke wie auch auf eine soziologische Dimension.
Welche Rolle spielt eure Kollektion «Tense», die ihr in Milano gezeigt habt?
Alexis Tourron: Hier zeigt sich vielleicht zum ersten Mal so etwas wie eine Handschrift, ein eigener Stil. Das impliziert auch eine gewisse Radikalität. Das widerspiegelt sich in den Formen und in den Materialien, die wir gewählt haben.
Stefano Panterotto: Es geht auch um die Zukunft des Wohnens. Menschen werden künftig noch mehr den Ort wechseln, also nomadisch leben, nicht nur freiwillig. Und sie werden weniger Geld haben, das sie in Besitztümer investieren können. Diese Fakten widerspiegeln sich in den fünf «Tense»-Entwürfen.
Was beobachtet ihr sonst noch für Trends in der Welt des Designs?
SP: Eigentlich befassen sich all unsere Projekte auch mit soziologischem Wandel, dazu gehört auch die Beziehung des Menschen zur Technologie. Wir übertragen diese technische Ästhetik auf Designobjekte. Gerade Kunden wie Luxusmarken suchen danach.
AT: Umgekehrt sind etwa Technologiekonzerne aus dem Silicon Valley daran interessiert, technischen Geräten mehr Wärme und Menschlichkeit zu verleihen. Wir arbeiten an der Schnittstelle zwischen diesen beiden gegensätzlichen Universen.
Warum das Interesse für moderne Technologien?
SP: Wir haben beide einen eher technischen Background. Wir haben viel Physik und Mathematik gemacht. Ich habe Architektur und Industriedesign studiert, Alexis Industriedesign. Deswegen haben wir wohl diese technisch-wissenschaftliche Seite beibehalten. Wir suchen immer die Grenzen.
AT: Wir mögen technische Herausforderungen, auch auf der Ebene der Materialien. Wir machen nicht nur eine Form, es muss für uns auch technisch Sinn machen.
Wie drückt sich das in euren Entwürfen aus?
SP: Möglichst wenig Komponenten, Einfachheit, Reduktion auf die Essenz. Auch Luxus hat für uns mehr mit Minimalismus als mit Überfluss zu tun.
AT: Wir machen uns viele Gedanken, stellen uns Fragen zu einem Produkt und versuchen ein ganzheitliches Universum um das Produkt herum zu schaffen. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass wir beide relativ lange studiert haben.
Ihr macht auch Beratungen. Worum geht es da konkret?
AT: Wir haben letztes Jahr in San Francisco gearbeitet. Im Auftrag von Firmen haben wir untersucht, wie sich das Konsumverhalten der jüngeren Generation in Zukunft entwickeln wird. Früher war Besitz wichtig. Cool war, wer z. B. eine Rolex sein eigen nannte. Die neue Generation sucht nach Erfahrungen, wie etwa die Welt zu bereisen. Dinge werden auch häufig geteilt. Das hat neue Modelle zur Folge, die auch auf den Lebenswandel und das Design einen Einfluss haben. Es macht uns Spass, über solche Entwicklungen nachzudenken.
Ich bin auf eurer Homepage auf den Begriff «kulturelle Kontamination» gestossen. Könnt ihr das erläutern?
SP: Design war früher eher an bestimmte Kulturen oder Nationen gebunden. Wir kommen aus einem kulturell gemischten Umfeld. Diese Einflüsse lassen sich in jeder Kultur beobachten. Und sie zeigen sich auch in unserer Arbeit.
AT: Stefano hat in Italien studiert, ich in Frankreich und Dänemark, bevor wir in die Schweiz kamen. Das gibt Nahrung.
Was inspiriert euch?
AT: Wir sind sehr neugierig, reisen viel und beobachten, was in anderen Disziplinen passiert, etwa in der Kunst, in der Mode, in der Automobilindustrie oder in der Architektur. Diese Felder haben dem Design viel voraus. Wir finden dort zum Beispiel ein neues Material und verändern den Kontext, das schafft etwas Neues, Frisches.
Wie ist das Arbeiten im Duo?
AT: Sehr inspirierend, wir sehen darin einen grossen Wert. Bei uns treffen zwei Kulturen aufeinander, das macht es spannend. Wir arbeiten auch mit Grafikdesignern, Fotografen und Architekten zusammen, das gibt wieder neue Inputs.
SP: Es ist zwar komplizierter, weil man Kompromisse finden muss, aber zugleich schneller.
Wie geht ihr auf eure Kunden ein?
AT: Es ist sehr wichtig, die Geschichte einer Marke zu verstehen. Wir suchen nach Referenzen, welche die Essenz am besten ausdrücken. Es geht nicht um unseren Stil.
SP: Wir versuchen, eine allgemein verständliche Sprache zu finden. Etwas, das zum kollektiven Bildgedächtnis gehört und alle betrifft.