Eine innere Passion als Erfolgsgeheimnis

Generationen im Gespräch: Trix und Robert Haussmann / Joan Billing und Samuel Eberli

Trix und Robert Haussmann

Generationen im Gespräch

Joan Billing und Samuel Eberli - Design+Design

Das Werk von Trix und Robert Haussmann ist in seiner Vielschichtigkeit und Komplexität kaum zu übertreffen. In den letzten beinahe sechs Jahrzehnten haben die Architektin und der Innenarchitekt die Wohnkultur weit über die Schweizer Grenzen nachhaltig geprägt. Im Rahmen des Kulturerbe-Jahres 2018 hat die Vereinigung der Schweizer Innenarchitekten das Werk der Haussmann geehrt. Auch die Designerin Joan Billing und der Architekt Samuel Eberli von Design+Design sind eingetaucht in das Schaffen dieser Protagonisten der Schweizer Wohnkultur. Am Ende ihrer Recherche stehen eine Publikation und eine Ausstellung. Beide Paare haben eines gemein: Sie machten ihre Leidenschaft zur Berufung – ein befruchtendes Gespräch zweier Generationen.

Trix Haussmann im Gespräch mit Joan Billing und Samuel Eberli von Design+Design.

Joan Billing: Den Austausch zwischen verschiedenen Generationen erachten wir als enorm wichtig. Junge Designer brauchen Vorbilder, die ihnen Wissen und Werte vermitteln. Uns geht es um dieses Wissen. Wir nennen es Kulturerbe – Designerbe.

Samuel Eberli: Leider wird diese wichtige Frage in der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen und gepflegt. Es fehlt das Bewusstsein. Die Kultur schiebt es der Wirtschaft und die Wirtschaft der Kultur zu. Ganz anders ist es bei der Kunst, wo ein Objekt gerne auch mal sechs Millionen Franken kosten kann.

JB: Alltagsprodukte prägen uns und sind Spiegel unserer Gesellschaft. Wichtiges Erbe spiegelt den Zeitgeist der Gesellschaft wider. Um das Schweizer Kulturerbe zu sicher, dürfen wir die primären Quellen nicht versiegen lassen, damit das Wissen und so auch unser Kulturerbe nicht verloren geht.

Trix Haussmann: Ich habe zum Beispiel die Architekturbiennale in Venedig besucht und viel darüber gelesen. Die Architektur als Thema wird heute stark in der Öffentlichkeit wahrgenommen und diskutiert. Sie ist aber stark auf sich fokussiert.

JB: Es ist toll, dass die Architektur sich diese Wahrnehmung erarbeitet hat und neben Kunst, Theater, usw. eine feste Grösse ist. Die Innenarchitektur dagegen nicht, da eigentlich sie die Seele eines Gebäudes ist.

TH: Ja, Innenarchitektur und Architektur gehören zusammen und trotzdem ist die Innenarchitektur immer noch ausgegrenzt. Meine Tante zum Beispiel war eine der ersten ETH-Architektinnen der Zeit zwischen den Weltkriegen. Damals ging es ausschliesslich um Häuser und Bauten.

 

 

Trix Haussmann und Joan Billing im angeregten Gespräch: Die junge Designerin arbeitet seit Jahren mit Lidewij Edelkoort, der renommierten Trendforscherin, zusammen.

JB: Wie war es damals bei dir, als du als junge Frau an der ETH studiert hast?

TH: Bei mir war alles bereits viel liberaler und offener. Eine weitere Tante von mir hat ebenfalls an der ETH, aber Pharmazie studiert. Sie hat mir oft erzählt, dass es damals an der ETH noch keine Damentoiletten gab. Nach langem Theater gab es endlich unter dem Dach eine Toilette für die wenigen Frauen, die an der ETH studiert haben. Als ich begonnen habe, waren knapp ein Viertel der Studenten weiblich, was bereits ziemlich viel war. Was mir damals noch gar nicht aufgefallen war, weil ich zusammen mit drei Brüdern aufgewachsen bin und wusste, wie ich mich wehren musste, dass das Selbstbewusstsein der Frauen von damals bedeutend geringer war. Es gab noch kein Frauenstimmrecht. Als ich nach der ETH auch in Salzburg an der amerikanischen Schule mein Diplom machte und dort mit Frauen aus der ganzen Welt Kontakt hatte, bemerkte ich, wie die Schweiz in vielen Belangen im Hintertreffen war.

«An weisse Kittel kann ich mich nicht mehr erinnern, aber was ich wollte, war ein schwarzes Hemd. Aus Vorhangstoffen, die mein Vater zum Verdunkeln der Räume brauchte, liessen sich einfach auch schwarze Hemden schneidern. »

JB: Wir haben während unseren Recherchen ein Foto mit Kurt Thut gefunden, wo alle Studenten wie auch die Professoren einen weissen Kittel trugen.

Robert Haussmann: An die weissen Kittel kann ich mich nicht mehr erinnern, aber was ich zu dieser Zeit wollte, war ein schwarzes Hemd. Dies ist mir leichtgefallen, da mein Vater während des Krieges gefühlt tausende von Metern Stoff zum Verdunkeln der Räume gekauft hatte. Daraus liess es sich einfach auch Hemden schneidern. Dies war noch vor der Zeit, als es hiess, dass alle Architekten ein schwarzes Hemd tragen. Und ich bin bis heute dabeigeblieben, weil es praktisch ist und ich es auch als schön empfinde (schmunzelt).

SE: Und wie habt ihr den Austausch mit den Vorbildern erlebt?

TH: Bei mir an der ETH hing der Informationsaustausch stark von den jeweiligen Dozenten ab. Den Manierismus habe ich zum Beispiel von Adolf Max Vogt vorgelebt bekommen. Von ihm habe ich zum ersten Mal davon gehört und dies hat mich zutiefst beeindruckt.

RH: Auch ich habe viele Dinge direkt von den Menschen vermittelt gekriegt. Als Student vieles natürlich von Johannes Iten. Oder während einer De Stjil-Ausstellung auch von Gerrit Rietveld. Kurz vor dem Diplom war ich ein Jahr in Amsterdam und habe durch einen Zufall den Baumeister kennengelernt. Als Autodidakt habe ich enorm von der Durchlässigkeit dieser Zeit profitiert. Iten, Rietveld und auch Siegfried Gideon haben ihre Erfahrungen mit mir geteilt.

 

Samuel Eberli studierte an der ETH Zürich Architektur und gründete 2007 mit Joan Billing Design+Design.

JB: Und wie war es mit Willy Guhl?

RH: Die ersten beiden Semester an der Kunstgewerbeschule absolvierte ich bei Wilhelm Kienzle. Und dann kam Willy Guhl: Dies war ein ganz anderer «Ton», kein weisser Kittel mehr. Er war ein total unintellektueller Mensch, ein wunderbarer Geschichtenerzähler.

TH: Er war ein pädagogisches Urgestein, ein Naturtalent! In Stuttgart besuchte ich einmal einen Vortrag von Willy Guhl. Mit seinem gebrochenen Hochdeutsch – er hat keine einzige Fremdsprache beherrscht, sondern schlicht nur Schweizerdeutsch – hat er die Schüler trotzdem unglaublich fesseln können. Die Stuttgarter sind schlicht von seiner Art ausgeflippt. So etwas habe ich nie mehr in dieser Weise erlebt.

SE: Vorbilder, die ihr Wissen vermitteln ist damals wie heute enorm wichtig.

TH: Dieser Austausch ist wichtig. Bemerkenswert ist, dass es immer eine Generation überspringt. Die nächste Generation hat jeweils Mühe mit den direkten Vorgängern. Nun sind es die Enkel, die sich für  die damalige Arbeit interessieren. Wenn man mit dem Gedankengut der Vorgänger aufgewachsen ist, muss man sich davon befreien und sieht so die Qualitäten wohl nicht. Man sucht eine andere Richtung. 

Der Architekt, Innenarchitekt, Designer sowie ehemalige Hochschullehrer ist heute 87 Jahre alt.

SE: Ihr wart Nachkriegskinder und habt die Moderne nicht direkt miterlebt – eher wiederentdeckt. Und habt am Ende einen ganz anderen Weg eingeschlagen – und trotzdem spürt man eure Wurzeln sehr stark.

TH: Dies ist tatsächlich ein Fundament. Dieses kriegten wir vermittelt, und darauf haben wir aufgebaut. Und natürlich hatte ich dann den Drang, etwas selber zu kreieren.

RH: Als ich an der Kunstgewerbeschule in Zürich studierte, war in den Magazinen der Heimatstil – dieses Geschnitzte – omnipräsent. Dies hat mich zutiefst nicht angesprochen. Da waren die Bauhausmoderne sowie die Bewegungen in Frankreich, Belgien und England wie eine Erlösung für mich. Dies waren Vorbilder. Da wollten wir mit unserer Arbeit nahtlos anschliessen – und dies haben wir auch getan. Auch Kurt Thut, der nicht in einem so theoretischen Sinn dachte, hat direkte Bezüge zu diesen Vorbildern gepflegt. Und kommt wieder Willy Guhl ins Spiel als ein ganz grosser Förderer solcher Inhalte. Er hat dies natürlich nicht auf die theoretische Weise getan, aber wir haben auch diese Geschichten durch ihn vermittelt gekriegt. Für mich ist er der wichtigste Förderer dieses Gedankenguts dieser Zeit für die jungen Kreativen von damals.

JB: Dies sehen wir auch so. Er war natürlich ein Protagonist der ersten Generation, wie es auch Wilhelm Kienzle ist. Dort sind zum Beispiel die ersten Quellen am Versiegen. Wir spüren einfach, dass zu dieser Zeit extrem viel passiert ist – und dass man diesen Reichtum an die nächste Generation weitergegeben hat. Dies war später in den 1960er- und 1970er-Jahren nicht mehr passiert.

RH: Von der Bedeutung her sollte Willy Guhl auch eine Publikation erhalten.

JB: Ja, natürlich (lacht herzhaft). Wir haben uns dies ganz dick hinter die Ohren geschrieben. Uns läuft Willy Guhl immer wieder während unseren Recherchen zu anderen Protagonisten, beim Wühlen in Briefen und Dokumenten über den Weg.

 

Trix Haussmann, die an der ETH Zürich Architektur studiert hat, bildet seit mehr als 50 Jahren mit ihrem Mann Robert ein kongeniales Kreativduo.

RH: Es stellen sich die Fragen: Wie lange begleiten einem solche Vorbilder? Und wann löst man sich davon ab?

TH: Wir waren wahnsinnig selbstzentriert. Uns haben gewisse Dinge interessiert, und diese haben wir auch umgesetzt. Es war uns fast egal, was um uns herum passierte. Wir waren auch politisch nie aktiv, obwohl man dies zu dieser Zeit durchaus hätte sein sollen. Damals hat uns die Zusammenarbeit mit den  Italienern fasziniert. Sie brachten uns neue Sichtweisen.

RH: … und da war auch Glück. Es war damals gar nicht selbstverständlich, dass ich so früh Aufträge in Paris erhalten habe. Diese Chancen muss man natürlich sehen und zupacken. Dafür braucht es Mut und eine gewisse Risikobereitschaft.

«Wenn man eine gemeinsame Leidenschaft hat, ist dies das Wichtigste, und alles andere wird uninteressant.»

TH: Vieles ist bei mir einfach passiert. Viel nachgedacht habe ich nicht, Chancen habe ich kaum wahrgenommen und Risiken schon gar nicht. Für mich war es einfach ein Geschenk, dass ich einen Beruf gefunden hatte, der mich ausfüllte und glücklich machte.

JB: Es ist wie eine innere Passion.

TH: Wenn man diese Passion gefunden hat, ist dies ein unglaubliches Privileg.

SE: Ihr ergänzt euch einfach perfekt.

TH: Dies ist doch auch bei euch so. Wenn man eine gemeinsame Leidenschaft hat, ist dies das Wichtigste, und alles andere wird uninteressant. Das Zentrum bildet das gemeinsame Interesse und weniger die üblichen Partnergeschichten.

RH: Es braucht auch Platz für Verschiedenheit. Jeder braucht seinen Freiraum.

JB: Es ist wichtig für junge Menschen, dass man diese Passion entdeckt. Heute kann man fast alles tun, die Möglichkeiten sind unendlich. Diese können die Jungen auch total überfordern. Deshalb muss man ihnen Vorbilder an die Hand geben, die sie für gut empfinden oder auch ablehnen können. Ganz einfach gesprochen, gibt an ihnen Instrumente und sie können selber herausfinden, in welche Richtung sie gehen möchten. Man muss sie aber in diesem Prozess unterstützen. So sehen sie, wie es andere getan haben, ohne den Druck aufzusetzen, dass sie dies genau gleichtun müssen.

 

Robert Haussmann sitzt in seinem Lieblingssessel und erzählt kompetent und leidenschaftlich über vergangene sowie heutige Zeiten.

SE: Wenn ihr die Arbeitsweise von euch und von der heutigen Generation vergleicht, gibt es da Unterschiede oder Ähnlichkeiten?

RH: Den grossen Unterschied macht die Digitalisierung aus. Diese verändert alles.

TH: Klar kann man heute am Computer alles zeichnen. Aber ich sehe ein Hindernis, dass alles immer so perfekt aussieht und eigentlich gar nicht ist. 

JB: In den Nullerjahren hat die damalige Generation vollkommen auf den Computer gesetzt. Und die nächste kombiniert das Analoge und Digitale neu und überraschend. 

TH: Das Digitale ist die Grundlage. Dass die Skizze auch ihre Qualitäten hat, wird langsam wieder erkannt.

SE: Wie war es zu eurer Zeit? Wie habt ihr euch informiert?

RH: Es ist vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man sich etwas mehr anstrengen muss, wenn man zu Informationen gelangen will. Diese werden kostbarer, und man schaut schlicht besser hin.

TH: Man tauschte sich damals mehr mit Menschen, mit Gleichgesinnten aus.

JB: Euer Kosmos ist riesig und unglaublich facettenreich. Man entdeckt immer wieder ein neues Türchen, hinter dem sich eine neue Welt öffnet. Dies haben wir bei den Arbeiten zu unseren vorherigen Büchern über Protagonisten der Schweizer Wohnkultur so nicht erlebt. Dies ist wirklich einmalig.

TH: Uns ist dies gar nicht so bewusst. Wir haben ganz einfach Glück.

RH: … ja, dies kann man wohl sagen!

Zwei Generationen an einem Tisch: Joan Billing und Samuel Eberli von Design+Design im angeregten Gespräch mit Trix und Robert Haussmann.