Südafrika: Urbanes Flair trifft auf zeitgemässes Wohnen

Johannesburg

Offenes Wohnzimmer mit grüner Sofainsel mit Blick in den grünen Innenhof.

Die burgunderroten Fensterrahmen passen wunderbar zum Mauerwerk und zum Grün der Umgebung.

Wenige Kilometer von der Grossstadt Johannesburg entfernt befindet sich zwischen zwei stark befahrenen Hauptverkehrsadern die kleine Vorstadt Craighall. Trotz der Hektik auf den Strassen strahlt der Vorort, dank der üppig spriessenden Natur, eine einnehmende Ruhe aus. Schlendert man weiter durch die alten Strassen der Peripherie, versteckt sich hinter unberührter Baumvielfalt ein helles, offenes Haus, das mit seinem beständigen Charakter jeden Blick auf sich zieht. 

Blick ins offene Wohnzimmer mit grüner Sofaecke.

Während das Haus seine Linien horizontal hält, sorgen die Bäume für ein dramatisches vertikales Element. Die Dachflächen sind begehbar und üppig bepflanzt.

Flur in einem Haus, das mit Fenstern in roten Rahmen eingekleidet ist.

Ein gläsernes Raumelement mit gefalteter Betondecke verbindet den Wohnbereich mit dem Schlaftrakt.

Das Ehepaar Toni und Graeme Twidale war drei Jahre lang vergeblich auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Schliesslich war es der mächtige Bestand von einheimischen ­Bäumen, der sie umgehend von einem Stück Land in Craighall überzeugte. Tonis Wunsch war es, das Draussen nach innen zu holen, um jederzeit von den Bäumen und der ­Natur umgeben zu sein. Mit diesem Begehren kreier­te Gregory Katz ein Haus, bei dem die Umgebung den Kern bildet. Bekannt für ­seine kreative, experimentelle und oft un­konventionelle Vorgehensweise, ergänzte er die Vorstellung des Ehepaars perfekt. Die Aufgabe stellte sich jedoch komplizierter ­heraus als zu Beginn gedacht. Wie schafft man unter dem bunten Baumdach genügend Platz für die Grösse eines Einfamilienhauses?

Blick in die offene Küche mit Jochinsel aus Marmor.

Esstisch, Stühle sowie Hocker an der Kücheninsel stammen von Houtlander, einem lokalen Designer.

Letztendlich entstand ein Grundriss, der aus zwei Flügeln aufgebaut ist. Rundherum ragen die grossen einheimischen Bäume, die während des Baus sorgfältig erhalten wurden, über das Dach hinaus. Sie scheinen das Haus zu umarmen und in seine Umgebung zu integrieren. Verbunden sind die schlanken Flügel durch einen verglasten Korridor, der sich dem Gefälle des Geländes sanft anpasst. Katz gab dem Haus aufgrund seiner ­Struktur den Namen «Wing-Wing-House»: zwei Flügel, die durch eine «Nabelschnur» verbunden sind und einen zentralen Innenhof formen. Er beschreibt es auch als ein typisches zweistöckiges Gebäude, das auf die Seite gekippt wurde. Alle Zimmer richten sich nach Norden aus, so geniesst die Familie nicht nur viel natürliches Sonnenlicht, selbst im Winter erwärmt die Sonne die verschiedenen Wohn- und Schlafräume wohltuend.

Die Äste der Bäume ragen über das ­flache Betondach, das mit Drahtschmielen bepflanzt ist. Das gewellte Gras erweckt den Eindruck, als sei der Boden über die Grundfläche des Hauses angehoben. Begrünte Dachflächen und Baumriesen verschmelzen miteinander. In den Innenräumen entsteht so das Gefühl, als sei man tief in der Natur versunken. Für Toni gibt es nichts Gemütlicheres, als ihren Morgenkaffee auf der Dachterrasse zu ge­niessen und die reiche
Vogelwelt bewundern zu können. 

Blick vom schlichten Schlafzimmer ins Badezimmer.

Die Materialpalette ist einheitlich, aber niemals eintönig und verleiht den Innenräumen einen Zusammenhalt.

Schlafzimmer mit Holzwand und Bett mit blauer Bettdecke.

Die Schlafzimmer öffnen sich direkt auf die Terrasse und den Innenhof des Swimmingpools hinaus.

Der Eingang, der über eine bodentiefe Tür erfolgt, ist diskret in der Einfahrt versteckt. Im Gegensatz zu den Glaswänden auf der dem Hof zugewandten Seite sorgt der solide Charakter der Ziegelsteinwände für mehr Privatsphäre. Einladend bleibt er jedoch ­wegen seiner grosszügigen Traufe und dem bodennahen Fenster, das einen neugierigen Blick ins Innere erlaubt. Die Liebe zum Baustoff Ziegel ist besonders hier im Eingangsbereich ersichtlich. Das ausdrucksstarke, diagonal verlegte Muster gibt sich wie ein Schleier, der die kühle Luft ungehindert zirkulieren lässt und aus bestimmten Blickwinkeln eine ­visuelle Durchlässigkeit bietet. Ein ähnliches Muster findet sich für die Stützmauer des ­bepflanzten Daches wieder. Weitere Ziegel wurden verfeinert, um Sockelleisten und Badezimmerfliesen zu gestalten. Die Textur ist so reichhaltig und ausdrucksstark, dass es unendlich viele Möglichkeiten zu geben scheint. 

«Entweder man behält eine flache ­Oberfläche oder man artikuliert sie visuell oder funktionell, um sie als etwas anderes fungieren zu lassen», erklärt Architekt Gregory Katz. «Das Prinzip des Hauses baut auf Wiederholung und Unterschied auf. Die Materialien wieder­holen sich, aber sie werden auf unterschiedliche Weise eingesetzt.» 

Innenhof mit Wiese, der von einem U-förmigen Haus umgeben ist.

Durch die raumhohen Glaswände verschmelzen Innenraum und zentraler Hof zu einem einzigen grossen Lebensraum.

Tritt man ins weitläufige Wohnzimmer, nimmt die Kücheninsel einen zentralen Platz ein. Der lederartige Granit der Kücheninsel trägt zur reichen Strukturpalette bei, die sich durch das ganze Haus zieht. Gregory nahm es sich zu Herzen, viel natürliches Licht in die Innenräume zu bringen. In einigen Bereichen überfluten fast unsichtbare Oberlichter die Innenwände mit Licht. Der Weg des Wohnraums führt uns weiter zur versenkten Lounge, die direkt aus den 1970er-Jahren zu kommen scheint. Öffnet man die grossen Glastüren, werden auch die Innenräume Teil des Gartens und das Haus verwandelt sich in einen Gartenpavillon. So ­entsteht ein grosser Lebensraum mit doppelt so viel Platz. An manchen Stellen rücken die Bäume so nah ans Haus, dass sie fast Teil des Innenlebens werden. So mussten bereits Segmente der Dachrinnen mit Aussparungen versehen werden, durch die die Äste wachsen können.

Blick durch zwei Fenster die durch einen Wohnraum auf die andere Seite führen.

Die Arbeitsplatte der Küche besteht aus schwarzem simbab­wischem Granit. Die Blickbeziehungen durch die Raumzonen machen das Haus besonders.

Blick von oben auf ein einstöckiges Haus mit begrüntem Dach und zwei Personen darauf.

Während das Haus seine Linien horizontal hält, sorgen die Bäume für ein dramatisches vertikales Element. Die Dachflächen sind begehbar und üppig bepflanzt.

So bleibt auch Tonis Einrichtung einfach. Das Schlafzimmer der Eltern wird in einer eher neutralen Farbpalette gehalten, mit ­einem skulptural geformten Bett und raum­hohen Einbauschränken, die den Raum ruhig und übersichtlich halten. Im Rückzugsort von Sohn Jamie hingegen wurde eine Wand mit Kork verkleidet, was der Einrichtung eine warme und taktile Dimension verleiht und Gregorys Vorliebe für die einfache, aber ausdrucksstarke Verwendung natürlicher Materialien offenbart. Toni suchte explizit nach lokal entworfenen Möbeln, sowohl um den CO2-Fussabdruck gering zu halten, als auch um lokale Fertigkeiten zu würdigen. 

Blick von aussen auf einstöckiges Haus aus Backsteinen.

Der Eingang durch die bodentiefe Tür ist diskret in der Einfahrt versteckt und sorgt für Privatsphäre.

Das Ergebnis ist, dass die Räume eine leichte Eleganz ausstrahlen, die nicht zu selbstbewusst oder übertrumpfend wirkt. ­Dasselbe lässt sich aus dem Haus der dreiköpfigen Familie schliessen. Oberflächlich betrachtet mag es wie eine Hommage an den Modernismus aussehen, doch in Wirklichkeit ist die Architektur von Gregory Katz eine umwerfend komplexe und höchst originelle Antwort auf das Leben in der Johannes­burger Vorstadt Craighall.

Titelbild Atrium mit Foto von offenem Wohnzimmer mit grüner Sofainsel mit Blick in den grünen Innenhof.

Den gesamten Artikel lesen Sie in der Ausgabe 5 / 2023 der Zeitschrift Atrium.