Ein Gespräch mit Peter Wellauer, dem Geschäftsführer von Betonsuisse, über den Baustoff Beton, seine Zukunft und den Architekturpreis Beton 21.
Was genau ist Beton, und seit wann wird er zum Bauen verwendet?
PW: Beton wird hauptsächlich aus Stein gewonnen. Die Mischung besteht aus Gesteinskörnungen, Zement und Wasser und je nachdem noch einigen Zusatzmitteln. In seiner ursprünglichen Form kam der Baustoff bereits beim Pantheon in Rom zum Einsatz, dessen Kuppel aus opus caementitium besteht. Als Bindemittel wurde damals jedoch nicht Zement, sondern gebrannter Kalk verwendet. Als Stahlbeton, in der Zusammensetzung mit Armierungen, ist Beton erst im 19. Jahrhundert bekannt geworden. Richtig populär wurde der Baustoff schliesslich im 20. Jahrhundert.
Was sind die Vorteile von Beton am Bau?
PW: Ein grosser Vorteil ist die Dauerhaftigkeit. Hinzu kommen die Leistungsfähigkeit in Bezug auf seine Masse und die Flexibilität in der Gestaltung. Diese wird etwa beim Haus Sulten von Nickisch Walder deutlich, das beim Architekturpreis Beton 21 ausgezeichnet worden ist. Hier wurde mit Beton eine einfache Tragstruktur geschaffen, mit der das kleine Haus äusserst flexibel genutzt werden kann. Das zeigt exemplarisch, wie man auch im Kleinen Beton einsetzen und durch eben diese Flexibilität eine möglichst lange Lebensdauer für ein Gebäude gewährleisten kann.
Wie sinnvoll ist der Einsatz von Beton im Umbau?
PW: Durch seine Langlebigkeit und seine Flexibilität ist Beton prädestiniert dafür, bei Umbauten eingesetzt zu werden. Altbauten können mit Beton erhalten werden, weil der Baustoff wie erwähnt sehr vielfältig ist. Man kann ihn gut einbauen, da er in flüssiger Form auf die Baustelle gebracht wird; er lässt sich über Schalungen in Formen bringen, die sich an bestehende Bauten anpassen, oder man kann Altbauten mit einer kräftigen, leistungsfähigen Betontragkonstruktion unterstützen und so bestehende Strukturen erhalten und erweitern. Oder aber man lässt die Fassade bestehen und füllt das Innenleben mit einer Tragkonstruktion aus Beton, die das Ganze zusammenhält. Aber: Beton ist nicht das Allein-selig-Machende. Bei einer Aufstockung zum Beispiel, bei der es auch um Gewicht geht, macht der Einsatz von zum Beispiel Holz Sinn. So lässt sich Gewicht sparen, und es muss nicht die ganze Tragkonstruktion verstärkt werden, was wiederum mehr Material erfordern würde. Es ist entscheidend, jedes Baumaterial nach seinem besten Eigenschaften einzusetzen.
Um nochmals auf den Architekturpreis zu sprechen zu kommen: Wann wurde er lanciert, und was war damals und was ist heute das Ziel der Ausschreibung?
PW: Der Architekturpreis wurde 1977 lanciert. Damals waren in erster Linie die Anerkennung von gut ausgeführten Betonbauten, aber auch eine Imageverbesserung von Beton das Ziel. Daran hat sich nicht gross etwas verändert. Aber es geht nicht mehr nur um die Qualität des Betons per se, sondern es geht darum, zu zeigen, dass er auch sehr nachhaltig sein kann. Wenn richtig gebaut wird, wenn richtig genutzt wird, wenn richtig umgebaut wird.
Können Sie bereits einen bewussteren Umgang mit dem Baustoff feststellen?
PW: Ja, der Umgang hat sich verändert. Aber vielleicht noch nicht so weit, wie er sich in Zukunft verändern muss. Das hat einen ganz einfachen Grund: Der wertvolle und geniale Baustoff Beton ist zu günstig. Er muss teurer werden, auch, um einen sorgsameren und intelligenteren Umgang damit anzuregen. Einige Einreichungen waren schon gute Beispiele dafür. Man besinnt sich wieder auf alte Techniken, baut den Beton schmaler, feiner, mit weniger Volumen ein, indem man seinen Eigenschaften Rechnung trägt. Dass man heute immer noch Decken herstellt, die 26 Zentimeter stark sind, hat oft Gründe wie das Einlegen von Rohren und Leitungen. Hier muss ein Umdenken stattfinden, denn Technik und Struktur haben eine andere Lebensdauer, folglich sollten sie voneinander getrennt werden. Eine Tragstruktur aus Beton kann über 100 Jahre bestehen bleiben. Die Haustechnik hat aber nur eine Lebensdauer von 20 oder 30 Jahren, also muss man so bauen, dass die Haustechnik angepasst oder ersetzt werden kann. Der SRF-Campus, ebenfalls ein Projekt, das eine Auszeichnung erhalten hat, zeigt das exemplarisch.
Das heisst, aus Ihrer Sicht wäre ein möglicher Ansatz, dem Baustoff im wahrsten Sinne des Wortes mehr Wert zu geben, um so auch einen Anreiz für Überlegungen zu bieten, wie man kreativer und nachhaltiger damit umgehen kann?
PW: Durchaus. Das zeigt auch die Geschichte des Silos Erlenmatt in Basel. Das hundertjährige Schüttgutsilo wurde in ein Jugendhotel umgenutzt. Dabei wurden die Silos aufgeschnitten, und man hat festgestellt, dass die Silowände von unten nach oben in der Stärke auslaufen. Darin befanden sich dünne Eisen, um die Zugkräfte im Siloring aufzunehmen – mehr nicht. Diese Art der Ausführung war damals eine grosse Leistung. Als ich den Architekten Harry Gugger, der den Umbau ausgeführt hat, darauf angesprochen habe, gab er mir folgende Erklärung: Das Material war damals teurer als die Personen, die daran gearbeitet haben. Heute ist es genau umgekehrt. Folglich nimmt man einfach mehr Beton – die Relationen stimmen nicht. Arbeitskraft ist wie erneuerbare Energie, sie steht zur Verfügung. Aber die Rohstoffe, aus denen Beton hergestellt wird, sind endlich.
Würde es allenfalls auch bedeuten, dass die Ausbildungen angepasst werden müssten, um einen anderen Umgang mit Beton zu verankern?
PW: Das ist eine gute Frage. Vor einiger Zeit hat man in der Ausbildung von Bauingenieur*innen noch Wert darauf gelegt, dass sie lernen, Material zu sparen, zu optimieren. Aber nicht, weil es endlich ist, diese Sensibilität war noch nicht vorhanden. Es geschah rein aus Handwerksinteresse, um der Ingenieurbaukunst willen. In diese Richtung sollte es wieder gehen. Die Ressourcenknappheit muss ein Thema sein.
Das führt uns noch zu einem anderen Punkt, nämlich dem Recycling von Beton. Wie funktioniert das genau?
PW: Wenn der Beton am Ende seiner Lebensdauer ist, werden die Bauteile abgebrochen, zerkleinert und zurück auf ihre ursprüngliche Form gebracht. Aus Beton werden wieder Zuschlagstoffe. Das ist natürlich nicht mehr derselbe Zuschlagstoff, der aus der Kiesgrube genommen wird, also Kiessand, sondern Betongranulat, das eine sehr gute Grundlage für neuen Beton bildet. Der entnommene Stahl wird in der Schweiz schon heute zu 100 Prozent recycelt. Die Rate von mineralischen Baustoffen, vor allem Betonbaustoffen, liegt schon bei 85 bis 90 Prozent. So kann man primäre Rohstoffe schonen, indem man die sekundären im Urban Mining nutzt. Aus alten Häusern lassen sich wieder neue herstellen. Es lässt sich aber auch bereits eine Stufe früher beginnen, indem man Re-Use betreibt, also ganze Bauteile aus Bestandsbauten herausnimmt und woanders wieder einbaut.
Das Ganze ist auch ein Thema auf Ihrer neueren Website www.beton2030.ch. Was genau hat es damit auf sich?
PW: Wir illustrieren anhand von Beispiel, was Beton alles kann, und beleuchten – gerade auch für junge Baufachleute – andere, auch kurzfristigere Perspektiven und Visionen. Beton ist der meistverwendete Baustoff weltweit. Wir zeigen, wie er, ressourcenschonend eingesetzt, nachhaltig als Baumaterial dienen kann. Wir versuchen, die aktuelle Diskussion mit Beispielen, klaren Argumenten und Ausblicken professionell zu unterstützen.
Zurück zum diesjährigen Betonpreis. Wie sind Sie bei der Auswahl vorgegangen?
PW: Bei der Jurierung ist viel über Nachhaltigkeit gesprochen worden, über Nachhaltigkeit in ihrer Gesamtheit; früher stand vor allem die Ästhetik im Mittelpunkt, dies hat sich hin zur Zweckmässigkeit verlagert, zum Umgang mit Materialien, zur Nutzungsflexibilität. Aber, und dafür kämpft auch der SIA, der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein, zu Recht, Ästhetik ist auch ein Bestandteil der Nachhaltigkeit. Denn wenn ein Gebäude nicht gefällt, wird es abgerissen, obwohl es technisch oder von der Nutzung her noch bestehen bleiben könnte. Wir haben über Ressourcen gesprochen, über CO2, über die Trennbarkeit von Materialien und Strukturen. Ganz zentral: Wie lässt sich ein Gebäude später einmal umnutzen, und wie könnte man es dafür in der Tragstruktur gestalten?
Was hat schliesslich den Ausschlag für die Wahl des Siegerprojekts und der Auszeichnungen gegeben?
PW: Das Siegerprojekt ist der Unterhaltsstützpunkt auf dem Berninapass von Bearth & Deplazes. Die Architekten gehen sehr bewusst mit dem Material um, setzen es auch als Stützmauer ein, es stellt zudem einen Widerstand gegen die harten Wetter- und Klimabedingungen dar; das Gebäude ist gut nutzbar und flexibel veränderbar. Zudem ist es perfekt in die Landschaft integriert. Der Förderpreis ging an Inches Geleta Architetti, ein junges Architektenteam im Tessin. Bei seinem Projekt, dem Palazzo Pioda, hat uns überzeugt, dass man sich wieder auf alte Werte besonnen hat. Der Palazzo hat eine tragende Fassade. Das Verbinden der beiden Funktionen Tragen und Umhüllen bietet die Möglichkeit, das Innenleben frei zu gestalten und auch in Zukunft immer wieder neue Raster zu erstellen. Auch die vier weiteren Auszeichnungen zeigen einen kreativen, nachhaltigen und zukunftsweisenden Umgang mit dem Baustoff Beton, sodass die Ziele des Architekturpreises einmal mehr erreicht wurden.
Mehr zum Architekturpreis Beton 21 und zum Thema Beton erfahren Sie auf: www.betonsuisse.ch
Weitere Betonbauten auf meter:
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Transformation Lù Chatarme von Deschenaux Follonier
Wohnhaus Missionsstrasse von Buchner Bründler Architekten