Es gibt Orte auf dieser Welt, die möchte man am liebsten beschützen vor denjenigen, die nur herkommen wollen, um auf Instagram & Co zu glänzen und in einem Atemzug mit berühmten Hotelgästen wie Lady Gaga und Sir Anthony Hopkins genannt zu werden. So ist man versucht potenziellen Besuchern des Castello di Reschio im Norden Umbriens vorab Fragen aufzuzwängen. Etwa ob sie wertschätzen würden, dass hier keine einzige elektrische Leitung, kein einzelner Luftschacht, in den steinernen Mauern oder Terrakottaziegel-durchsetzen Decken zu sehen ist. Ob es sie interessiert, von welcher Familiengeschichte das jeweilige Ölportrait auf den Zimmerkarte erzählt (kleiner Hint: vom ungarischen Onkel hin zu Papst Clemens XXI ist alles dabei). Oder ob ihnen auffallen würde, dass die Zimmermädchen über den alten Steinboden zu schweben scheinen…
Als Hausherr Benedikt Graf Bolza beim Interview in seinem Designstudio inmitten der ehemaligen Tabakfabrik des Anwesens von derartigen Fantasien hört, muss er lachen. «Manchmal hätte ich ja selbst Lust, unseren ganzen Instagram-Account wieder zu löschen, einfach aus Angst einen falschen, zu glatten Eindruck zu erwecken – man muss die Energie spüren, um diesen Ort zu verstehen.» Und natürlich hilft es auch, mit dem Architekten und Designer Bolza sprechen, der zusammen mit seiner Frau Donna Nencia Crosini, einer Freskenmalerin, dem Haus Stil und Seele verleiht.
Zugegeben, es wäre ein Leichtes, sich blenden zu lassen von einer Familiengeschichte, die ins Ungarn des 13 Jahrhunderts wurzelt und auf Nencias Seite in eines der ältesten florentiner Adelsgeschlechter reicht. Von dem inmitten von Pinien und Zypressen gelegenen tausend Jahre alten Schloss, das Benedikts Vater Antonio in den 1990er Jahren kaufte und die rund 50 Ruinen auf dem 1500 Hektar grossen Weingut mehr oder weniger zufällig entdeckte.
Rückblickend war es mutig, zum damaligen Zeitpunkt das Anwesen zu erwerben und statt Kredite aufzunehmen, den Architektensohn Benedikt die Bauernhäuser renovieren zu lassen und über den Verkauf an neues Geld kommen zu wollen. «Niemand kannte uns, niemand kannte dieses Anwesen in Umbrien, aber wir vertrauten unserem Bauchgefühl.»
Alles sei organisch gewachsen, ein Häuschen nach dem anderen habe er renoviert und darüber auch seine Frau kennengelernt, die die Wandmalereien in der ersten Villa übernommen hatte. Bis heute verkauft Bolza nicht an den Meistbietenden. Es geht nicht darum, standesgemässe Bewohner im monitären Sinn zu finden, vielmehr sind Seelenverwandte gefragt, die Privatsphäre und Naturverbundenheit schätzen und dem Stil- und Führungsgespür des Grafen und seiner Frau vertrauen. Wer hier wohnt, darf auf Zimmermädchen, Köche und Einkaufsservice bauen und bekommt auf Wunsch auch ein paar eigene Reben angepflanzt – samt individuell entworfener Etikettierung der Weinflaschen durch das hauseigene Designteam. Die Villen selbst unterscheiden sich allesamt, natürlich unter Einbindung der Entwürfe Bolzas: schmiedeeiserne Betten, Lampen, die den Bars der 1920er Jahre gut gestanden hätten, nur ohne die verspielten Jugenstilelemente und gradlinig gestaltete Anrichten, die in ihrer schlichten Schönheit dem Land hier entsprechen.
Im Schloss sah es bei Einzug der Familie samt seiner fünf Kinder 1999 allerdings alles andere als luxuriös aus. «Der Ort war recht heruntergekommen, aber als meine Frau das erste Mal hierher kam, sagte sie: «Das fühlt sich an wie Zuhause», sie hatte umgehend eine starke Verbindung zum Land und zu der Energie des Ortes, die auch schon die Etrusker gespürt haben.» Weder gab es damals eine Zentralheizung noch Isolierungen, durch das in den 1940ern gedeckte Dach regnete es durch. «So aber lernten wir das Gebäude von Grund auf kennen, entwickelten Ideen und machten uns an die Arbeit.» Erst als sie selbst schon Jahre darin gewohnt hatten, die Kinder aus dem Haus waren und Bolza an die 30 Privathäuser aufbereitet hatte, kam es zu der Resorteröffnung 2021. Das Konzept sei von Anbeginn gewesen, «das Hotel nicht wie ein Hotel aussehen zu lassen.» Und wirklich fühlt es sich hier wie in einem gigantischen Privathaus an, in das man von betuchten Freunden eingeladen wurde. Neben antiken Trouvaillen und Schätzen aus dem Familienbesitz wie den Gemälden und kleinen Schreinen kann Bolza zu jedem der 36 Zimmer aus dem Stehgreif eine Geschichte erzählen. Ob es nun das Fenster ist, dass zum morgendlichen Zähneputzen das schönste Sonnenlicht einfallen lässt oder das kleine Himmelbett aus Frankreich, das er einst auf einer Messe erstand ohne überhaupt zu wissen, wohin mit dem guten Stück. Aber: «Wenn man etwas Schönes sieht, muss man es einfach kaufen», so der Count, wie sie ihn hier nennen. Hinzu kommt, dass niemand hier klassische Uniformen trägt. Die Outfits der Poolboys sind venezianisch, die Zimmermädchen sind in neapolitanischen Dirndl gekleidet, die Nencia einst mit ihren vier Töchter beim privaten Theaterspielen trug. Dass sie scheinbar lautlos schweben liegt übrigens daran, dass den Hausherren das Klackern der ersten Schuhe dermassen störte, dass er umgehend alle austauschen liess. «Manchmal ist es recht mühsam so extrem zu sein. Ich glaube aber dass es der einzige Weg ist um sicherzustellen, dass wir mit allem rundum glücklich sind. Für uns ist es eben ein sehr persönlicher Ort.»
Wie in einer grossen Familie begegnet man sich hier auf Augenhöhe. Auf ein Kompliment für die freundlichen Mitarbeiter reagiert der gebürtige Münchner wachsam: «Freundlich freut mich. Ich hoffe nur nicht so überfreundlich amerikanisch, das würde uns stören.»
Genug zu tun wird es für ihn und auch die nächsten Generationen hier jedenfalls genug geben: Während es noch rund 20 Häuser zu retten hat, gilt es bereits die ersten, in die Jahre gekommenen Villen zu überarbeiten. Wer von seinen Kindern mit einsteigt? Er wisse, dass ein guter Vater nur im Stillen hoffe und keinen Druck ausüben darf, lächelt Bolza. Und schiebt nach: «Es ist eine grosse Maschine, frisches Blut könnte ich ganz gut gebrauchen.»