Sie haben am 1. April mitten im Lockdown das Amt als CEO bei Jelmoli übernommen. Mit welchem Gefühl gingen Sie morgens zur Arbeit?
Nina Müller: Den Tag werde ich nie mehr vergessen. Er fing mit einer Videogruss-Botschaft vom E-Commerce, Marketing- und Kommunikationsteam aus dem Homeoffice an. Das war eine unglaubliche warmherzige und freudige Willkommensnachricht, die mich sehr gerührt, aber auch bestätigt hat, dass ich ein tolles Unternehmen übernehmen darf. Es hat sich vom ersten Tag angefühlt, als ob ich hier hingehöre.
Wie gingen die ersten Tage weiter?
NM: Der Food Market war offen, das war für uns extrem wichtig. Wir haben die ganze erste Phase des Lockdowns bei der Schliessung und der Wiedereröffnung mit dem Food Markt mitgemacht. Zum Glück haben wir schnell reagiert und gesehen, dass mit Abstand und unter Einhalten aller Regeln trotzdem gearbeitet werden kann. Der Vorteil der Situation war auch, dass ich in Ruhe mit den Verkaufsteams und Verkaufsleitern alle Verkaufsflächen begehen konnte und erfahren habe, wie diese funktionieren. Zudem konnte ich an der Kasse im Food Market mithelfen Einkaufstaschen einzupacken.
Sie haben für Kunden die Taschen eingepackt?
NM: Ja, es war für mich eine tolle Erfahrung: Ich habe so viel vom Unternehmen und den Kunden mitbekommen. Ich führte schöne Gespräche mit Kunden und konnte viel beobachten.
Sie erscheinen sehr nahbar. Sie packen Taschen für Kunden ein und im ersten Editorial beim Jelmoli Magazin haben Sie gar Ihre Mailadresse angegeben und die Kunden sowie Leser animiert mit Ihnen in Kontakt zu treten. Wo fängt bei Ihnen Privatsphäre an?
NM: Sowohl mein Einsatz im Food Market als auch der Aufruf zum Austausch gehören für mich zu meinen beruflichen Aufgaben dazu. Meine Intention ist, dass ich das Haus und die Kunden verstehen will und so besser kennenlernen kann.
Ist das Ihr Erfolgsrezept?
NM: Das kann ich nicht sagen, aber ich weiss, dass «faceless» heute nicht mehr funktioniert. Kunden wollen wissen, wie die Haltung eines Unternehmens oder einer Person dahinter ist. Man sieht, dass hinter allen starken Marken, auch starke Menschen mit einer Meinung stehen. Dadurch wird man als Person zwar angreifbarer, aber wir haben das Glück, dass man den Jelmoli mag. Ich denke auch, dass dies der Grund ist, weshalb viele CEOs nicht kommunizieren. Wir sind alle Menschen und wir wissen nie zu 100%, ob das, was wir heute entscheiden, das Richtige für die Zukunft ist.
Können Sie Job und Privatleben gut trennen?
NM: Bei mir spielt der Beruf einen wichtigen Teil in meinem Leben. Natürlich gibt es Überschneidungen. Wenn ich etwa mit Freunden zusammen bin, beim Sport oder im Urlaub, ist dies rein privat. Stets Teil meines Lebens sind natürlich die Themen Marken-Welten, Einkaufserlebnisse und Retail. Das heisst auch, wenn ich reise, interessiere ich mich für diese Themen und gehe diesen nach – egal ob das der Markt in Süditalien, der Museumshop oder Selfridges sind. Ich habe das Glück, dass mich meine beruflichen Themen auch privat begeistern. Das ist für mich sehr wichtig, daher kommt auch meine Motivation, die Liebe und Passion für das, was ich tue.
Sie waren zuvor CEO beim Uhren- und Schmuckhändler Christ. Wird man härter, wenn man jahrelang in männerdominierten Positionen arbeitet?
NM: Nein, ich glaube nicht, dass mich das härter gemacht hat. Ich glaube, dass ich durch meine Erfahrungen und die Zeit selbstbewusster geworden bin. Ich bin klarer, indem was ich will und wo ich hin will. Aber das kam weniger durch die Männer in meinem Berufsumfeld, sondern mehr durch Erfahrungen. Ich glaube nicht, dass sich Frauen typische Männereigenschaften aneignen müssen, um erfolgreich zu sein. Viel mehr geht es darum, selbstbewusst Frau zu sein und dazu zu stehen, wer man ist und wie man die Dinge wahrnimmt.
Gab es Situationen in Ihrem Berufsleben, wo Sie sich ungerecht behandelt fühlten?
NM: Ich hatte in meinem Leben eine Situation, in der ich aufgrund meines Frauseins im Beruf nicht weitergekommen bin. Das war am Anfang meiner Karriere, als ich in einem Unternehmen wissen wollte, wohin ich mich entwickeln kann. Da bekam ich von einem Mann gesagt, dass die einzige Position, die für mich in Frage käme, mit einem Mann besetzt werde. Das hat mich sehr verletzt und vor allem auch schockiert. Ich kann mich noch erinnern, wie ich meinen Vater angerufen habe, der für mich immer wie ein Coach war.
Wie hat ihr Vater reagiert?
NM: Er meinte, wenn du nicht weiterkommst, dann musst du gehen. Das habe ich dann auch getan. Am nächsten Tag habe ich im Unternehmen angerufen und meine Kündigung eingereicht. Mein Vater hat mich immer in meinen Entscheidungen bestärkt. Daraus habe ich mitgenommen, dass man in Situationen, in denen man nicht weiterkommt, selbst eine Entscheidung treffen muss. In solchen Situationen hilft auch mein Urvertrauen: Es gibt nicht nur eine Firma oder einen Job, den man gerne macht. Ich bin im Nachhinein nicht böse, aber dieses Erlebnis hat mich geprägt und es gehört zu mir. Jetzt versuche ich natürlich junge Leute zu ermutigen, in Situationen, in denen man ansteht, die Entscheidung selbst in die Hand zu nehmen.
Wie gehen Sie mit Kritik um?
NM: Ich versuche bei Kritik zuzuhören und sie anzunehmen und ich denke, in den meisten Fällen gelingt dies mir gut. Es ist aber auch eine Kunst, konstruktives Feedback zu geben, so dass es das Gegenüber annehmen kann. Ich bin jemand, der immer gerne mit kritischen Menschen zusammengearbeitet hat. Für mich ist ein Diskurs und eine gesunde Auseinandersetzung zu einem Thema wichtig, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. In meinen Augen ist es gefährlich, wenn man aufgrund der Hierarchie keine Kritik mehr annimmt. Deshalb höre ich gerne unterschiedliche Meinungen und Inputs. Am Ende muss man aber selbst eine Entscheidung treffen. Diese kritische Auseinandersetzung mit sich und der Umwelt ist in meinen Augen notwendig.
Welche Vision haben Sie für Jelmoli?
NM: Ich bin seit fünf Monaten bei Jelmoli und habe viele Einblicke in das Unternehmen erhalten und habe gelernt, dass die Mitarbeitende Jelmoli sehr loyal gegenüberstehen und ein enger Austausch mit den Kunden stattfindet. Das ist für ein Traditionshaus mitten in Zürich wunderbar. Wir haben einige Themen die parallel laufen. Zum Beispiel möchten wir der konsequenteste Omnichannel Department Store der Schweiz werden. In diesem Zuge ist auch ein neuer Webshop geplant. Weiter expandieren wir am Flughafen in den Circle mit zwei spannenden Brand Houses. Diese Umstellung erfordert ein neues Mindset, das uns helfen wird, dieses Traditionshaus in die Zukunft zu tragen. Meine Vision ist es, dass wir ein nahtloses Zusammenspiel all unserer Kanäle schaffen und für unsere Kunden relevant bleiben. Wichtig ist auch die Frage, wie wir mit aktuellen Themen wie Lokalisierung, Swissness und Community umgehen. Bei der Vision und Strategie sind wir noch im Fine-Tuning, aber die wichtigsten Säulen von Jelmoli stehen: die Traditionsmarke, die Expansion und der Omnichannel-Ansatz.
Gerade während des Lockdowns hat Onlineshopping stark zugenommen. Macht Ihnen diese Entwicklung keine Sorgen?
NM: Nein, das bereitet mir überhaupt keine Sorgen. Die Entwicklung der Digitalisierung gab es schon lange, sie wurde dadurch nur beschleunigt. Aber ich bin froh, dass wir mit dem Onlineshop ein Projekt haben, das uns ab November erlauben wird, da endlich richtig mitzuspielen. Der Lockdown hat aber auch gezeigt, dass ein Leben, welches nur digital und virtuell stattfindet, für niemanden befriedigend ist. Ich glaube, da sind sich alle Generationen einig. Auch die jungen Menschen wollen sich treffen, unterhalten und sich gegenübersitzen, das ist beim Einkaufen nicht anders. Bei uns konnte man sehr schön beobachten, wie die Leute froh waren, dass sie wieder ihre Lieblingsverkäufer treffen und sich austauschen konnten. Jelmoli ist eine Destination, wo man sich trifft. Und wenn wir einen guten Service bieten, kann kein Webshop mit uns konkurrieren.
Wie lässt sich ein Department Store wie Jelmoli mit aktuellen Themen wie Nachhaltigkeit und «buy less and buy local» vereinbaren?
NM: Nachhaltigkeit gehört zur Grundstrategie von Jelmoli. Das Thema haben wir bereits in allen Bereichen in Form von kleinen Initiativen aufgenommen. Das fängt bei Verpackungen an und hört bei den Lieferanten auf, mit welchen wir zusammenarbeiten. Das ist ein grosses Anliegen von Jelmoli. Wir starteten zudem im August mit der Zertifizierung amfori BSCI. Natürlich hoffe ich, dass die Kunden auch bewusster konsumieren und nicht Ramsch einkaufen. Das betrifft vor allem das Thema «Fast-Fashion».
Schliesst sich das nicht aus?
NM: Nein, es geht darum, weniger dafür nachhaltiger zu konsumieren. Ich traue mich, dies als Premium Department Store Chefin zu sagen. Denn wir verkaufen keinen Ramsch, sondern schöne Qualität.
Wie hebt sich Jelmoli von anderen Shops an der Bahnhofstrasse ab?
NM: Jelmoli bietet verschiedene Welten –– wir sprechen im Haus immer von der Sportwelt, der Damenwelt oder der Beautywelt. Bei uns finden Kunden alles unter einem Dach, zudem können sie zwischendurch in einem unserer 12 Restaurants eine Pause machen, ein Cüpli trinken oder ein Clubsandwich essen und das in einer offenen und freundlichen Atmosphäre. Ich denke, das ist etwas Spezielles und da heben wir uns von anderen Läden an der Bahnhofstrasse ab.
Jelmoli zieht in den Circle im Flughafen Zürich ein. Was erwarten Sie von dieser Expansion?
NM: Der Circle ist etwas absolut Neues für Zürich und die Schweiz. Er ist eine architektonische Wucht und die Mieter sind vielversprechend. Wir sind alle sehr neugierig, wie sich das entwickelt. Ich sehe das Potenzial und hoffe, dass es auch von den Zürchern als spannendes, mondänes und modernes Quartier aufgenommen wird. Wir gestalten zwei sehr interessante Häuser – eines ist das Brand House Sport und das andere ein Brand House Lifestyle. Es gibt keine Vergleichsdaten, deshalb müssen wir sicherlich Erfahrungen sammeln, lernen und agil reagieren.
Früher gab es im Jelmoli einen grossen Bereich von Teo Jakob. Dieser existiert nicht mehr, dennoch setzt Jelmoli weiterhin auf ein umfangreiches Wohnsortiment – wollen Kunden in einem Department Store überhaupt Möbel und Wohnaccessoires kaufen?
NM: Ich bin extrem stolz, denn die Home- und Living-Welt zählt zu den besten Welten bei Jelmoli. Das war bereits vor dem Lockdown so und hat sich seither noch verstärkt. Bei uns finden Kunden Utensilien für die Küche von Pfannen bis hin zu Kleinmöbeln oder Wohnaccessoires wie Tablets des Schweizer Labels Schoenstaub. Wir haben eine sehr vielfältige Welt, in der das Thema Swissness bereits stark gespielt wird mit Schlossberg, Fischbacher oder Dauny. Natürlich braucht es ein gutes Sortiment, aber es braucht auch ein Team, das gut mitwirkt.
Wie wohnen Sie?
NM: Ich wohne im Zürcher Seefeld in einer loftartigen, modernen Wohnung mit viel Platz. Mein Lieblingsstück ist ein uralter Holztisch, den ich im Niederdorf gekauft habe. Das ist eine schöne Geschichte, denn ich habe zuerst mit dem Antiquitätenhändler Stunden darüber philosophiert, welche Rolle das Essen in meinem Leben und in der Wohnung spielt, bevor wir diesen Tisch zusammen entwickelt haben. Rund um den Tisch habe ich unterschiedliche alte Designerstühle von Vitra oder Horgenglarus. Ich liebe Diversity, das spiegelt sich auch in diesem Setting wider. Kitsch oder Dekosachen mag ich nicht, aber ich habe immer frische Blumen bei mir Zuhause und auch im Office.