Es ist ein beliebtes Schweizer Postkartenmotiv: ein romantisches Chalet mit der typischen, dunklen Holzfassade vor einer verschneiten Berglandschaft und strahlend blauem Himmel. Ein Idealbild der Schweiz, das, wie der aus Deutschland stammende Fotograf und Künstler Patrick Lambertz feststellte, nicht immer ganz der Realität entspricht. Seit 2008 lebt er in der Schweiz und hat seit 2016 mit seiner Bildserie «Chalets of Switzerland» Gebäude dokumentiert, die halb vergessen irgendwo in der Landschaft oder am Dorfrand stehen, und doch mehr über die einheimische Baukultur erzählen als manch ein idealisiertes Chalet. Im Rahmen einer Kooperation mit der Stiftung Ferien im Baudenkmal ist seine Bildserie nebst den grossen Originalformaten (120x80cm) nun in einer speziellen, limitierten Sonderedition im Format 40x30cm erhältlich, von der zehn Prozent direkt an die Stiftung Ferien im Baudenkmal gehen. Diese rettet historische Baudenkmäler, die vom Verfall, Abriss oder Leerstand bedroht sind, indem sie diese restauriert und als Ferienwohnungen zugänglich macht. So fördert sie das Bewusstsein für den Erhalt dieser Bauten und macht sie gleichzeitig für Gäste hautnah erlebbar. Patrick Lambertz gibt im Interview Auskunft, wie die Bildserie ihren Anfang nahm und welchen Stellenwert sie unerwartet eingenommen hat.
Alina Tanács: Hallo Patrick. Wie ist dir eigentlich die Idee für die Fotoserie «Chalets of Switzerland» gekommen?
Patrick Lambertz: Ich bin 2008 in die Schweiz gezogen und war beruflich viel auf Reisen. Wenn ich den Leuten im Ausland erzählte, dass ich in die Schweiz gezogen bin, hatten alle eine relativ konkrete Vorstellung davon, wie das Land aussieht – alle tragen Rolex-Uhren, fahren Bentleys und wohnen in einem Chalet. Ehrlich gesagt hatte ich auch selbst einige dieser Klischeebilder im Kopf. Dadurch, dass ich aber viel in der Schweiz unterwegs war, habe ich schnell bemerkt, dass die Schweiz auch eine sehr authentische, bodenständige Seite hat. Diese hat sich für mich durch die Häuser manifestiert, die ich unterwegs immer wieder gesehen habe – am Strassen- oder Dorfrand – und die relativ wenig Beachtung fanden. Diese Häuser wollte ich fotografisch thematisieren.
AT: Wieso hast du immer die gleiche Frontalansicht vor einem weissen, verschneiten Hintergrund gewählt?
PL: Ich wollte, dass die Häuser wie freigestellt sind. Zuerst habe ich überlegt, hinter den Gebäuden weisse Tücher aufzuhängen, ähnlich wie in der Porträtfotografie. Doch das schien mir – ganz abgesehen davon, dass es auch sehr aufwändig gewesen wäre – zu ablenkend. Dann hat es sich bei einem Spaziergang ergeben, dass die Landschaft verschneit und das Wetter diesig war – eigentlich miserable Konditionen fürs Fotografieren. Da tauchte aus dem Nebel auf einem Hügel ein Haus auf und ich dachte – jetzt mache ich einfach mal ein Bild. Dann habe ich beim Bearbeiten gemerkt, dass die Natur mein bestes Studio ist. Der Schnee gab mir genau den reduzierten Hintergrund, den ich suchte.
«Meine Absicht war es, das Wesentliche, die Formensprache der Häuser herauszukristallisieren.»
AT: Es ging dir also darum, den Fokus ganz auf die Häuser zu lenken?
PL: Ja, durch diese frontale, reduzierte, serielle Darstellung kann man Dinge sichtbar machen, die man im normalen Umfeld nicht sehen würde. Oder anders gesagt, man würde das Gleiche sehen, aber es hätte eine andere Wirkung. Meine Absicht war es, das Wesentliche, die Formensprache der Häuser, herauszukristallisieren. Das ist ähnlich wie bei der Porträtfotografie, bei der man die Charakterzüge eines Menschen plötzlich viel deutlicher wahrnimmt. In schwarz-weiss fotografieren wollte ich nicht, denn ich finde, dass die Farbe und eben auch die Stimmung eine wichtige Rolle spielt. Deshalb sind die Weisstöne der einzelnen Bilder nicht aufeinander abgeglichen, manchmal gehen sie ins Gelbliche, manchmal ins Türkise über. Das kommt daher, dass das Licht, das durch die Wolkendecke kommt, immer anders ist. Es ist also ein semi-dokumentarischer Ansatz – die Häuser sind so, wie sie sind, aber es ist auch Emotion und Charakter im Bild.
AT: Findest du die Häuser per Zufall, oder machst du dich gezielt auf die Suche?
PL: Es ist eine Mischung. Oft bin ich im Sommer unterwegs und suche die Häuser, mache mir Notizen und Fotos auf dem Handy, wodurch ich auch gleich den Standort weiss, und fahre dann gezielt im Winter wieder dorthin, wenn die Bedingungen richtig sind. Ich habe leider im Jahr immer weniger Schneetage, an denen ich fotografieren kann. Deshalb muss ich wissen, wann ich wohin fahren kann, um die Bedingungen optimal zu nutzen. Manchmal passiert es tatsächlich auch, dass ich auf dem Weg per Zufall noch ein weiteres Haus entdecke, dass mir im Sommer gar nicht aufgefallen ist, aber durch den Schnee dann plötzlich ins Auge fällt.
AT: Sind das bewohnte Häuser? Hast du auch manchmal Kontakt mit den Bewohner:innen?
PL: Die meisten der Häuser sind bewohnt. Das hat mich auch so interessiert daran, dass das wirklich ein lebendiger Bestandteil der Schweiz ist. Kontakt hatte ich mit verschiedensten Personen, aber nicht, weil ich an der Tür geklopft hätte, sondern weil mich die Leute im Nachhinein kontaktiert haben. Zum Beispiel hatte die Bewohnerin des Hauses in Willerzell über eine Freundin erfahren, dass ich das Haus vor Abbruch noch fotografiert hatte. Sie schickte mir auch Fotos von früher, hat mir die Geschichte des Hauses erzählt, wie ihre Urgrossmutter noch mit zwölf Leuten auf 80 Quadratmetern in diesem Haus wohnte – das erzählt auch wieder viel über die Schweiz in der damaligen Zeit. Es gab viele Momente, wo Leute auf mich zugekommen sind und mir über ihren Bezug zu einem Haus berichtet haben. Dadurch habe ich gemerkt, dass sie wirklich eine enge Beziehung zu ihnen haben. Ältere Leute hatten oft Tränen in den Augen, weil es sie an eine Zeit erinnert, die nicht mehr da ist. In mir kam immer mehr das Bild eines wegschmelzenden Gletschers auf – diese Häuser sind Teil einer Zeit, die im Übergang ist und sich langsam verändert.
«Mir ging es mehr darum, mit den Klischeevorstellungen über die Schweiz zu brechen – erst später wurde mir bewusst, dass die Serie auch das Verschwinden einer Identität festhält.»
AT: Die Stiftung Ferien im Baudenkmal setzt sich dafür ein, Schweizer Baukultur zu erhalten – wie ist dein Bezug zu diesem Thema?
PT: Dadurch, dass ich immer mal wieder zu diesen Orten hinfahre, habe ich bemerkt, dass immer mehr der Häuser einfach verschwunden sind. Daraus ergab sich eigentlich erst der dokumentarische Aspekt dieser Serie, der ursprünglich gar nicht geplant war. Mir ging es mehr darum, mit den die Klischeevorstellungen über die Schweiz zu brechen – deshalb heisst die Serie ja auch «Chalets of Switzerland», obwohl die abgebildeten Häuser gar keine Chalets sind. Erst später wurde mir bewusst, dass die Serie auch das Verschwinden einer Identität festhält. So kam auch die Stiftung ins Spiel – es entwickelte sich bei mir das Bedürfnis, etwas zurückzugeben. Ich finde es besonders, was die Stiftung macht, weil der Ansatz ist, alte Gebäude erlebbar zu machen. Es geht darum, einen nachhaltigen Weg zu finden, um die Bausubstanz zu erhalten und sie in die heutige Zeit zu übertragen. Diese Arbeit verdient noch viel mehr Aufmerksamkeit. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, mit der Stiftung zusammenzuarbeiten und diese Sonderedition herauszubringen. So gebe ich einen Teil direkt an die Stiftung weiter und das Thema gewinnt zusätzlich an Aufmerksamkeit.
Mehr zur Stiftung Ferien im Baudenkmal: www.ferienimbaudenkmal.ch
Mehr zu Patrick Lambertz: www.patricklambertz.com
Die Bilder von Patrick Lambertz sind aktuell an folgenden Ausstellungen zu sehen:
Einzelausstellung «Spielräume» in der Galerie 94 in Baden, bis 21. Dezember 2024.
Gruppenausstellung «I 🖤 CHALETS» im Zentrum für Architektur – ZAZ Bellerive in Zürich ab 18. 1. 2025.