Es liegt trutzig da. Das kleine, kompakte Gebäude wirkt in sich gekehrt und auf der verblühten, mittlerweile kargen Alpwiese so gut wie verlassen. Knapp unterhalb der Baumgrenze gebaut, am Berg oberhalb von Leysin im Kanton Waadt gelegen, erinnert das kleine Haus mit der rohen Fassade stark an seinen Vorgänger, ein Maiensäss. Diese optische Nähe ist gewollt und zum Teil auch den Auflagen geschuldet, die der Baubewilligung vorausgingen. Bevor das Bijou am Hang nämlich wieder aufgebaut werden konnte, mussten einige bürokratische Hürden genommen werden: Es waren akribische, archäologische Nachforschungen nötig, um den Beweis zu erbringen, dass das alte Maiensäss – ausserhalb der Bauzone gelegen – bereits bewohnt war.
Ein Maiensäss war traditionellerweise eine Sommerwohnung, ein Sommersitz der Alphirten. Gemacht für das eigenständige Leben von Mai bis Oktober, verfügte es über eine Küche, einen einzigen grossen Wirtschaftsraum und mehrere Schlafkammern. In diesem «Maiensitz» lebten die Hirten auf einfachste Weise in einem Gebäude, das bis ins kleinste Detail nutzbar gemacht war. Vor dem ersten Schnee wurde es verlassen; ein Maiensäss steht die Hälfte des Jahres leer – winterfest gemacht, verschlossen und geheimnisvoll.
«Wir liessen die Seele des Maiensässes wieder aufleben», erklärt Demian Rudaz, der Architekt des Projekts. «Aber nicht spartanisch und karg. Sondern kompakt, roh und minimal – also reich an Komfort auf kleinstem Raum.» Denn dieses Konzept der Kompaktheit, der Unabhängigkeit und des «Autarken», wie er das elementare Wesen des Hauses beschreibt, war eine der zentralen Vorgaben der Bauherrschaft, die zu erfüllen waren.
Die andere Vorgabe war, dass das wiederaufgebaute Haus das ganze Jahr über bewohnbar sein sollte, mit allen Konsequenzen, die sich daraus vor allem energietechnisch abzeichneten. «Es drängte sich auf, das Konzept der Energieautonomie gänzlich neu zu denken. Das Energiegleichgewicht und die Ökologie mussten in den Mittelpunkt unserer Überlegungen beim Entwurfsprozess gestellt werden», fasst Demian Rudaz diesen ersten Teil seines Auftrags zusammen. Ein möglicher Tagesablauf wurde skizziert und mit dem zugezogenen Energieingenieur energetisch bewertet. Es wurde minutiös gerechnet: Wo gibt es wie viel Energieverbrauch? Wo gibt es Verluste?
Als sehr wichtig wurde die Batterie zur Überbrückung von Schlechtwettertagen eingestuft – sie musste also richtig leistungsstark sein. Strom wird mittels Photovoltaikanlage gewonnen, Überschuss wird zur Gewinnung von Warmwasser genutzt. Trotz des ausgeklügelten Energiesystems muss haushälterisch mit dem Strom umgegangen werden. Zum Beispiel sollte erst dann gestaubsaugt werden, wenn das Haus im Anschluss ruhen kann, sodass die Batterie Zeit hat, sich aufzuladen. «In diesem Haus zu leben, will gelernt sein», erklärt der Architekt mit einem fröhlichen Lachen und ergänzt, dass es bis jetzt die schönste Baustelle seines Lebens gewesen sei. Dieses unmittelbare Erleben der Natur war für ihn eine starke Inspirationsquelle. Vor allem im Frühsommer, wenn die Magerwiesen rundherum in üppiger Pracht blühen und die Kühe, die Rehe, der Fuchs und die Vögel wie beim Schellen-Ursli ins Wohnzimmerfenster äugen.
Ab Herbst dreht sich alles ums Feuerritual. Das mittig im Haus errichtete Cheminée beheizt als wasserführender Ofen alle Räume und generiert bei Bedarf Warmwasser. Diese zentrale Feuerstelle kann die Energieerzeugung das ganze Jahr durch erfüllen. Mit einem Regler im Kamin kann der Wärmehaushalt nach Bedarf direkt gesteuert werden; der eingebaute Ventilator fungiert als Wärmebooster, der mitten im Winter innerhalb zweier Stunden sämtliche Räume im Haus aufzuheizen vermag. Das gesamte Holz, das im Chalet verbaut wurde, stammt aus lokaler Forstwirtschaft. Auf der Talseite sind die kleinteiligen Räume übereinander angeordnet, während sich analog zum traditionellen Wirtschaftstrakt der Maiensässe der grosszügige Wohnraum über die ganze Breite der Hangseite erstreckt.
Neben den vier Stützpfeilern in den vier Ecken des Gebäudes trägt das Cheminée aus Beton das Dach aus Lärchenholz. Die vier sägerohen Holzwände sind mit raffinierten Schiebejalousien bestückt, welche die raumhohen Fenster abschirmen können. Steht man im Zentrum des Hauses, kann der Blick rundum in alle Himmelsrichtungen schweifen. Das Treppenhaus, das Gäste- und die beiden Schlafzimmer mit ihren eingebauten Wandschränken und den Betten im Kniestock sind bis auf den Millimeter eingepasst. Das Büro mit Fernsicht ist der wohl vornehmste Platz im Haus: Dank des Zugbalkens auf dem tragenden Kamin ist kein Pfosten im First nötig. So ergibt sich im Giebel auf einer Fläche von 4 m² diese einzigartige Aussicht weit ins Tal und in die Berge.