Gestern träumte ich, dass ich wieder nach Mandranova gegangen sei. In den Armen der glühenden sizilianischen Nacht streifte ich durch die Oliven und Mandelhaine bis zum höchsten Punkt des weitläufigen Anwesens, um von dort aus zwischen Himmel und Erde das Meer zu berühren ...
Wer über Sizilien schreibt, kann das nicht ohne ein gewisses Pathos tun, das wäre Verrat. Das wusste Giuseppe Tomasi di Lampedusa, als er 1958 in seinem Roman «Der Leopard» den Untergang der Fürstenfamilie Salina inszenierte, das wusste Adriano Sack, als er 2024 den Protagonisten seiner Erzählung «Noto» zur Trauerarbeit dorthin schickte, und das weiss ich, die vor ein paar Monaten nur knapp 48 Stunden dort ver bracht hat – siehe oben.
Momentaufnahme: Es ist schon nach Zwölf. Durch die Dunkelheit rollt der Wagen vom Flughafen Palermo gen Südwesten ins Herz der nächtlichen Finsternis. Unterwegs: bunt angestrahlte Tempel, geschlossene Tankstellen, ab und zu ein paar Menschen auf dem Nachhauseweg. Dann plötzlich nur noch Land und Bäume. Der Wagen hält, ein grosser Hund kommt mir entgegen. «Anita!», höre ich ein Rufen. Eine zierliche Frau mit kurzem grauem Haar lächelt mich an und führt mich auf mein Zimmer. Der Rest ist Schlaf. Ein tiefer, erholsamer, traumloser Schlaf, wie ich ihn seit Wochen vermisse. Mandranova drängt sich nicht auf. Zwischen jahrhundertealten Olivenbäumen steht das bezaubernde Landgut und ist einfach nur sich selbst. Wer ausschweifendes Dolce Vita sucht, ist hier falsch. Wer den Luxus des echten Lebens finden will, inklusive Kochkurs, ist genau richtig. Doch dazu später mehr. Erst mal der nächste Morgen und Frühstück. Selbst gekochte Marmelade, selbst gebackene Brioscias – alles so, wie es sich für ein Agriturismo gehört. Nur irgend wie besser. Die Frau mit dem Lächeln ist wieder da. Anita? «Nein, Silvia», lacht sie. «Anita ist unsere Hündin.» Gemeinsam mit ihrem Mann Giuseppe und ihrem Sohn Gabriele bewirtschaftet Silvia di Vincenzo das Familiengut, kocht jeden Tag für die Gäste oder gibt ihnen die mannigfaltigen Genüsse der sizialinischen Küche in Kochkursen weiter. Wer sich an echten sizilianischen Arancini, Cannoli oder Pasta al Norma probieren will, darf mit Silvia und ihrem Küchenteam rühren, kneten und anschliessend geniessen. Das Essen für die Gäste wird jeden Tag mit frischen Zutaten aus dem Garten zubereitet, Tüpfelchen auf dem i ist natürlich das selbst gepresste Olivenöl. Die Rezepte stammen entweder aus dem persönlichen, und natürlich streng geheimen, Kochbuch der Familie oder werden gemeinsam von Mutter und Sohn entwickelt. Gabriele hat nämlich nicht nur einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund, sondern ist auch gelernter und leidenschaftlicher Koch.
Ein Meer aus Mandeln und Oliven
Rund 10 000 Olivenbäume wachsen auf dem 200 Hektar grossen Gelände. Mittendrin befinden sich das Haupt- und das Gästehaus sowie die Olivenölproduktion. Etwa 40 000 Liter Öl produziert die Familie jährlich und vertreibt dieses von Winterthur bis Tokio.
Zum versteckten Pool in einer stillgelegten Zisterne gelangt man durch den Gemüsegarten und ein paar Schritte den Hang hinauf. Etwas weiter abseits, aber immer noch fussläufig erreichbar liegt noch ein kleines Haus mit eigenem Pool, das ebenfalls zu mieten ist. Klasse statt Masse – das mag zwar vergleichsweise unpoetisch klingen, beschreibt das Mandranova jedoch am besten. Die schlichten Zimmer sind mit Möbeln und Kunst ausgestattet, die Authentizität und Eleganz mühelos miteinander vereinen. Verputzte Mauern und rustikale Steinböden zeugen von Respekt für die Vergangenheit, ganz ohne Pathos, aber mit charmanter Patina. Wer sich dem Zauber Siziliens hingeben möchte, seinem spröden Charme und seiner opulenten Gastlichkeit, findet keinen besseren Ort als das Mandranova. Mir bleibt nur noch ein Tag – aber unendlich viele Nächte.