Teppich, das neue Lieblings-Wohnaccessoire

Interview mit Mareike Lienau

Eine Frau schaut in die Kamera.

Mit «Lyk Carpet» zeigt Mareike Lienau das Teppich-Kunsthandwerk und das Material Wolle auf bisher ungesehene Weise. 

Linien, Kreise, Quadrate, Rechtecke und Dreiecke unterschiedlichster Gestalt treten in Interaktion und schaffen Blickfänger – mal am Boden, mal an der Wand oder auch an Sitzobjekten. Mit ­ihrem Berliner Label Lyk Carpet gelingt es Mareike Lienau, den Teppich aus den ihm ­zugewiesenen Funktionen und Vorstellungen herauszulösen und ihn auf eine völlig neue Art zu präsentieren. Ihre fair produzierten Entwürfe öffnen dabei nicht nur neue Perspek­tiven, sondern stellen zugleich das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus. Aus tibetischer Hochlandwolle, vom ersten bis zum letzten Arbeitsschritt von Hand verarbeitet und ­ausschliesslich mit natürlichen Farbgebern wie Rinden, Wurzeln oder Blüten gefärbt, entstehen Teppichunikate mit Charakter.

Verschieden Teppiche und unterschiedlichen Formen.

Die Teppiche sind ausgefallen und lassen die wahre Kunst hinter den Designs, Materialien und Formen erkennen lassen. 

Ein bunter Sessel.

Die in Zusammenarbeit mit Unique Factory Berlin entstandenen «Pouf_Charaktere» tragen traditionelle Einflüsse sowie einen modernen Ansatz in sich, hier das Modell «Massimiliano».

Frau Lienau, Sie haben an der Universität der Künste in Berlin Produkt- und Prozessgestaltung studiert und sich gleich nach dem Studium selbstständig gemacht – allerdings nicht als Teppichgestalterin, sondern als Grafikdesignerin. Wie sind Sie mit dem Thema Teppich in Be­rührung gekommen, und wann ist die Idee zu Lyk Carpet entstanden?
Mareike Lienau: Ich habe die Teppichliebe und den Sinn für manuelle Fertigungsgüte von meiner Oma geerbt. Der Teppich als Wand- und Bodenobjekt ist über Jahrhunderte mit unserer Wohnkultur verknüpft – und doch sind die handgeknüpfte Qualität und das Wissen über dieses Kunsthandwerk, mit dem wir Westeuropäer bis in die 70er selbstverständlich zusammengewohnt haben, verloren gegangen. Meine Erfahrung war, dass viele junge Leute die Qualität eines handgeknüpften Teppichs nicht mehr kennen, aber in der ­direkten Erfahrung den Ausdruck der Qualität intensiv wahrnehmen und schätzen. Ich wollte gerne durch ungesehene, lustvolle Teppichobjekte wieder die Aufmerksamkeit auf die Knüpfkunst lenken, das junge Publikum dafür begeistern.

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Inwiefern kommt Ihnen das Know-how als ­Grafikdesignerin heute zugute?
ML: Ich würde mich selbst eher als Prozessdesignerin bezeichnen. Die Fähigkeit, ­einen Prozess zu gestalten, kommt mir bei jedem neuen Projekt, jeder neuen Ausstellung und Kommunikation zugute. Ebenso die Offenheit, neu anzufangen und jedes Projekt mit all seinen Begebenheiten und Möglichkeiten neu zu beleuchten und darauf aufbauend neu zu denken.

Eine Frau streicht über einen Teppich der an der Wand hängt.

Mareike Lienau entwirft nicht nur feste Kollektionen, sondern auch mass­geschneiderte Unikate wie Teppiche für Wand und Boden, Poufs oder Sitzbänke, aber auch textile Poster. 

«Es entsteht ein Gefühl zwischen den Formen, eine Spannung, ein «Zwischenraumgefühl», was ich selbst als unerschöpflich und spielerisch empfinde.»  

2009 haben Sie Ihr Label Lyk Carpet gegründet. Was steckt hinter dem Namen?
ML: Meine erste Kollektion hiess «Glück» und bestand aus den Teppichen «Leichtigkeit», «Müssiggang», «im Jetzt» und «der Augenblick». «Lykke» ist Dänisch und heisst Glück, «Lyk» ist quasi ein Kunstwort mit Beziehung zum Glück.

Die Designs Ihrer Teppiche sprechen eine sehr eigenständige Sprache. Wie entstehen Ihre ­Designs, und was inspiriert Sie? 
ML: Beim Entwerfen meiner «Bespoke Objects», die in Zusammenarbeit mit meinen Kund*innen speziell nach ihren Bedürfnissen, Wünschen und Vorstellungen entstehen, inspirieren mich meine Auftraggeber*innen oder der Ort, an dem das Objekt später hängen oder liegen darf. Gerne denke ich im ­Designprozess multifunktional: Lässt sich das Objekt drehen, damit es unterschiedliche Blickwinkel oder Gestalten des Raumes ermöglicht? Welche Funktionen kann es noch erfüllen, kann es zum Beispiel auch als Sitz- oder Yogakissen genutzt werden? Bei meinen freien Kreationen wie den textilen Postern oder Poufs spiele ich nun schon seit Jahren mit den immer wieder gleichen geometrischen Formen, die sich zueinander bewegen, eine Beziehung eingehen, harmonisieren oder sich abstossen – es entsteht ein Gefühl zwischen den Formen, eine Spannung, ein «Zwischenraumgefühl», was ich selbst als unerschöpflich und spielerisch empfinde, besonders in der Kombination mit den unterschiedlichen ungesehenen Kombinationen von Knüpftechniken und Wolle. 

Ihr Teppichlabel steht ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit. Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie, und was treibt Sie an?
ML: Mir sind die Wertschöpfungskette und globale positive Vernetzung wichtig. Das Thema der ganzheitlichen Gestaltung ist für meine Tätigkeit als Gestalterin essenziell. Der Mensch, der mit dem Produkt lebt, sowie der Mensch, der das Produkt fertigt, stehen bei mir im Mittelpunkt. Aus Respekt vor dem Menschen und der Natur trage ich Verantwortung und entscheide mich für ökologische und soziale Umstände, unter welchen meine Produkte gefertigt werden und wie später mit ihnen gelebt wird. Dieses Leitbild liegt meinem gesamten Schaffen als Antrieb zugrunde.

 

Eine Sammlung von Möbelstücken mit Teppich.

Das dreiteilige Sitzbankensemble aus Teppichelementen und handgefertigten Fliesen der Marke Golem.

Ihre Teppiche werden in einer kleinen Manufaktur in Kathmandu gefertigt, dem Zentrum der nepalesischen Teppichindustrie. Warum ­haben sie sich für die Zusammenarbeit mit Knüpfer*innen aus Nepal entschieden? 
ML: Als Gestalterin habe ich vor mehr als 14 Jahren angefangen, mir die Hintergründe der Knüpfkunst zu erarbeiten. Meine Leidenschaft für dieses Handwerk sowie mein hoher Anspruch an soziale, faire und umweltfreundliche Fertigung haben mich nach Nepal geführt. Dort habe ich eine Manufaktur gefunden, welche die Teppiche in der höchsten manuellen Fertigungsgüte herstellt, die ich mir wünsche. Die Wolle wird von lebenden Schafen gewonnen, per Hand gesponnen, im traditionellen «Pot Dyeing», also in Töpfen mit pflanzlichen Substanzen wie Rinden, Wurzeln, Blüten, Indigo, Schalen, etc. gefärbt und per Hand zum Objekt geknüpft. Für mich ist ein solches Unikat unverfälscht, es ­erzählt eine Geschichte, es entsteht ein Austausch zwischen Objekt und Mensch – und ­somit eine langlebige Beziehung. 

Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit am meisten?
ML: Ein künstlerisches Handwerk am Leben zu halten, Kunst und authentische Manufakturfertigung sowie der dadurch ­inspirierte Austausch zwischen Objekt und Mensch über Kulturen hinweg. 

Vor kurzem haben Sie unter der Initiative «Matter of Course» ein Gestalterinnen-Kollektiv ­gegründet. Erzählen Sie uns ein wenig von der Idee dahinter?
ML: Wir sind ein Kollektiv von elf ­Designerinnen aus Berlin. Wir brennen für zeitgenössisches Design mit klarer Formensprache an der Schnittstelle von Design, Kunst und Handwerk und finden Inspiration und Unterstützung in der Gemeinschaft. «Matter of Course» verstehen wir als eine experimentelle Plattform für innovative Ideen und den Aufbau starker Allianzen mit Gleichgesinnten. Wir glauben an die Kraft der Kollaboration und wollen unsere Praxis in einem wertschätzenden Verbund reflektieren und weiterentwickeln. Unser Ansatz ist forschend und ergebnisoffen, denn der Prozess ist uns wichtiger als die Zielgrade. Wir nehmen uns Zeit, damit Neues organisch entstehen kann.

www.lyk-carpet.de

Blick auf eine Treppe di emit einzelnen Stücken, wie Teppiche, Vasen und anderen Sachen gestellt ist.

Als Co-Founderin von Matter of Course glaubt Mareike Lienau an die Kraft der Kol­laboration, den wertschätzenden, reflektierenden Verbund.