Vor über 15 Jahren nahm Anina Schenker mit ihrem Team zusammen, das Bedürfnis aller Kreativ-Arbeitenden unter die Lupe und stellte fest, dass sämtliche Themenfelder bis hin zur Architektur täglich mit den gleichen Fragen konfrontiert sind. Wie dokumentiere und archiviere ich meine Arbeiten? Wie präsentiere ich mein Portfolio gegen aussen? Und wie teile ich meine Arbeiten mit anderen? kleio baut genau auf diesen Kernfunktionen auf und bietet allen kreativen Köpfchen das perfekte Tool zur Organisation, Präsentation und Kollaboration.
Was ist kleio?
Anina Schenker: kleio ist ein Werkzeug. Ein Werkzeug, welches praktisch alle Funktionen umfasst, die es heute für eine professionelle Dokumentation im Kulturbereich braucht. kleio ist offen für alle Protagonist*innen im Bereich der Kultur oder für Personen, die im Bereich der Kultur wirken und Daten sammeln. Wir reden explizit von einem Werkzeug, weil Begriffe wie Plattform oder Webseite bloss Aspekte sind, die in kleio enthalten sind. kleio ist eine Palette aus vielen Funktionen, vereint in einem Tool.
Was waren die Beweggründe für die Entstehung von kleio?
AS: Ich habe kleio vor etwa 17 Jahren lanciert. Als ich als Künstlerin gearbeitet habe und wurde mir bewusst, dass ich solch ein Chaos hatte mit meinen analogen, wie auch digitalen Daten. Ich sollte alles irgendwie organisieren oder scannen, damit ich auf möglichst vielen Webseiten und Plattformen professionell wie auch organisiert erscheinen kann. Eigentlich ist aus dem eigenen Ärger heraus, so viele Tools beherrschen zu müssen, die Idee entstanden ein Werkzeug zu entwickeln, bei welchem all man all die eigenen Arbeiten hochladen kann, um von dort aus alles tun zu können, was nötig ist. Eine fast naive Idee, die jetzt aber doch in 17 Jahren und seit 15 Jahren als Firma Realität geworden ist.
Wie funktioniert kleio und was bietet das Werkzeug für Möglichkeiten?
AS: kleio ist auf den Kernfunktionen Organize, Present und Collaborate aufgebaut.
Organize ist mein interner Arbeitsplatz, auf dem ich alle Angaben zu dem, was ich mache, in einer Systematik eingeben kann. Systematik heisst, dass ich Inhalte nach verschiedensten Kriterien eingebe, sortieren und filtern kann. Bilder und Dokumente werden in der absolut höchsten Auflösung gespeichert. kleio macht automatisch eine Web-optimierte Kopie der Bilder. Wenn ich anschliessend Listen herausgebe, kann ich entscheiden, welche Inhalte ein- und ausgeblendet werden – und so werden Angaben, die nur intern interessant sind, bei der Publikation nicht gezeigt. Zudem kann ich so viele Original-Files hochladen, wie ich möchte. Es war uns wichtig, dass es keine Speicherplatz-Limite gibt, sonst speichern die einen aus Spargründen ihre Bilder nur in kleiner Auflösung, was der Grundidee, alles an einem Ort zu haben, nicht gerecht würde.
Present bedeutet, dass aus dem Pool, welcher mit den eigenen Daten erschaffen wird, möglichst viel publiziert wird. Es können unlimitierte Portfolios, Webseiten, Listen und noch vieles mehr erstellt werden. Diese Vielseitigkeit ist uns wichtig, weil es oft vorkommt, dass Kulturschaffende verschiedene Identitäten haben. Sie arbeiten vielleicht einerseits als Designer*in, anderseits leiten sie z. B. noch ein Workshop-Angebot. Man muss an verschiedenen Orten anders auftreten, oft reicht eine Webseite nicht mehr aus. Und anstatt einen neuen Account zu eröffnen, können bei kleio alle Identitäten an einem Ort abgespeichert werden.
Die Funktion Collaborate weist auf, dass Netzwerke in der Kultur die Basis bilden. Die Zusammenarbeit, der Austausch, das gemeinsame Auftreten, sich gegenseitig stärken, ist eine enorm wichtige Funktion. Anderenfalls können wir uns fast nicht weiterentwickeln, denn ein richtig oder falsch gibt es nicht. Viele Kulturschaffende arbeiten bereits in einer Gruppe oder sind Teil eines Verbandes oder Kollektivs. Es kann auch eine kollaborative Webseite erstellt werden, auf die mehrere Leute Zugriff haben und ihre Werke mit der «Drag and Drop»-Funktion einfügen und präsentieren können.
Ist kleio ist eine internationale Plattform?
AS: Ja, kleio ist digital und von überall her zugänglich. Uns interessiert die Welt. Fakt ist jedoch, dass wir seit 15 Jahren ein Non-Profit Unternehmen sind. Daher besitzen wir auch kein Marketing-Budget. Dank dem Zuschlag des Transformationsprojekts des Kantons Zürich hatten wir nun erstmals die Möglichkeit, kleio bekannt zu machen. Natürlich mit dem Interesse, dass kleio eines Tages in die ganze Welt hinausströmt. Alle sollen von dieser einmaligen Gelegenheit profitieren können! (lacht) Wir haben internationale Mitglieder*innen, aber das tropft erst langsam über die Landesgrenzen.
Muss man eine gewisse Erfahrung mit der Digitalisierung von Dokumenten haben, damit man kleio auf Anhieb verwenden kann?
AS: Nein, dank der «Drag and Drop»-Funktion ist kleio grundsätzlich sehr einfach zu bedienen. Wir bieten aber Hilfeleistung und haben ein riesiges Supportangebot von regelmässig stattfindenden und kostenlosen Webinaren. Man kann ebenfalls ein individuelles Coaching buchen, online oder in echt. Bei grösseren Gruppen, wie zum Beispiel in Schulen, halten wir vor Ort Workshops. Auf Anfrage übernehmen wir auch gleich die Arbeit. Wir haben ein kleines Team, welches Verzeichnisse, Nachlässe oder Sammlungen usw. aufarbeitet.
Wieso gab es einen Relaunch? Und was kam alles dazu?
AS: kleio hatte im Mai den Relaunch der 6. Generation. Das heisst, wir erfinden kleio immer wieder neu oder weiter. Wir müssen mit der digitalen Welt mithalten. Wir sind keine Webseite, die nach fünf Jahren sagt, sorry jetzt müsst ihr neu anfangen, da wir technisch veraltet sind. Wir sind die Göttin der Geschichtsschreibung (kleio), wir müssen für die Zukunft kompatibel sein. Unser Entwicklerteam AZ/T programmiert neben kleio auch andere grosse digitale Archive. Sie haben u. a. Sikart, das neue Schweizer Kunstlexikon entwickelt. Aber auch für das GTA, ein Forschungsinstitut der ETH, oder das Materialarchiv sowie die Kunstbibliothek Sitterwerk setzen sie ganz grosse und einzigartige Archive um. Dadurch gewinnen wir an riesiger Erfahrung. Das hilft uns, mit den neusten Technologien zu arbeiten. Aus diesem Erfahrungspool konnte ein eigenes CRM entwickelt werden, um all diese Möglichkeiten einfliessen zu lassen. So entsteht fast ein genossenschaftlicher Grundgedanke. Wenn das GTA etwas Neues auf den Tisch bringt, profitieren alle davon und umgekehrt.
Neu haben wir auch die fixen Raster, Kategorien aufgelöst. Anfangs lag unser Fokus stark bei der bildenden Kunst, von dort kam unser Know-how. Wir waren eigentlich eine ganz klassische Kunstdatenbank mit fixen Schubladen wie Werk, Ausstellung, Publikation usw. Im Laufe der Zeit haben wir bemerkt, dass sich auch das Arbeiten in der bildenden Kunst verändert. Die Leute arbeiten verstärkt inter- und transdisziplinär. Die fixen Raster mussten aufgelöst werden. Durch die neue Technik als Graph-Datenbank ist kleio absolut flexibel und im höchsten Msss modular. Ob man Designer*in oder Architekt*in ist, spielt überhaupt keine Rolle, denn man kann alles erfassen. Wir haben fast drei Jahre am Relaunch gearbeitet. Wir analysierten die ganze Kulturszene, auf dem Profi- wie auch Hobby-Level und führten viele Gespräche, um herauszufinden, was die Bedürfnisse sind. Und heute wird es in der Praxis überprüft, ob dies wirklich funktioniert. Wir sind ständig im engen Dialog mit unseren User*innen.
Ist die Nachfrage an digitalisierenden Plattformen hoch? Steigt das Interesse stetig?
AS: Grundsätzlich wird die Plattform sehr geschätzt. Es gibt viele junge Künstler*innen, die ihre Werke anfangs simpel auf Instagram oder Facebook posten, wo Bilder ihre Qualität jedoch verlieren. Wenn man bereits länger arbeitet, verspüren viele eine Art Angst vor der Dokumentation, weil sie das Gefühl haben, dass sie drei Jahre damit verbringen werden. Es braucht deshalb viel Aufklärungsarbeit unserseits, wieso man einfach einmal mit den letzten zehn Arbeiten starten sollte. Wir versuchen die Leute zu überzeugen, dass die Dokumentation nur ein einziges Mal einmal richtig gemacht werden muss. Denn im Anschluss kann man seine Werke direkt auf verschiedene Weise publizieren – dauerhaft und für immer.
Wie sieht die Zukunft von kleio aus? Sind weitere Projekte und Kollaborationen geplant?
AS: Unser momentane Kernfokus liegt darin, mit Institutionen Kontakt aufzunehmen, um sie vom Benefit durch den Einsatz von kleio zu überzeugen. Z. B. bei einer Hochschule: Wenn jede studierende Person von Anfang an lernt, ihre Arbeiten professionell zu dokumentieren und Inhalte aus dem eigenen Archiv per Klick mit dem Hochschhulserver zu teilen, ist die Chance auf einen inhaltlichen Mehrwert gross. Denn jede Person ist interessiert, das eigene Archiv aktuell zu halten, da sie einen direkten und persönlichen Nutzen daraus ziehen kann. Das gilt ebenfalls für Mitglieder von Verbänden – ob Theater, Tanz, Design und Kunst. Wir setzen auf die kollektive Autor*innenschaft, eigentlich wie bei Wikipedia, wo ganz viele Menschen Artikel in ein grosses Lexikon schreiben. Es entsteht Knowhow, welches in einem kleinen Team gar nicht fassbar wäre. Bei uns ist das sehr ähnlich. Jede Person schreibt ihre eigenen Inhalte, teilt diese mit verschiedenen Plattformen und wird so Teil von einem grösseren Ganzen.
Das Gleiche gilt für unser Research Portal: space.kleio.com, zu welchem wir alle User*innen einladen ihre Inhalte zu teilen. Dieser Space sollte in Zukunft die erste offene Research-Plattform in der Kultur werden. Das «Google der Kultur». Und das ist auch nur möglich, wenn alle ihre Beiträge selbst schreiben und so ein präziseren und aktuellen Einblick in ihr Schaffen ermöglichen. Unser Fokus liegt bei den Inhalten. Bei kleio ist mehr wirklich mehr. Umso mehr User*innen mit kleio arbeiten und je mehr Inhalte zusammenkommen, desto spannender wird das Research-Portal und desto interessanter wird Kultur für die Zukunft erlebbar sein.