«Der Schweiz fehlt der Seefahrer- Instinkt»

Schweizer Manufakturen: Interview Jörg Boner

Designer Jörg Boner sitz auf einem Tisch in seinem Atelier in Zürich.

Der Zürcher Designer bewegt sich zwischen Produkt- und Möbeldesign auf internationalem Parkett.

Schweizer Design lässt sich nicht so einfach fassen, das wird im Gespräch mit Designer Jörg Boner klar. Als Präsident der Eidgenössischen Designkommission will er das fehlende Verständnis für Design als Kulturgut auch auf politischer Ebene fördern, und er erklärt, was falsche Zurückhaltung damit zu tun hat.

Wie würden Sie Schweizer Design in wenigen Worten beschreiben?
Jörg Boner: Schweizer Design ist meiner Meinung nach in wenigen Worten schwierig zu fassen, weil nationale Grenzen das Design kaum thematisch unterscheidbar machen. Schweizer Designerinnen und Designer orientieren sich stark international, das fängt bereits bei der Ausbildung oder Anstellungen bei internationalen Schulen und Studios an.  

Welche Eigenschaften sind Ihrer Meinung nach mit dem Schweizer Design verknüpft?
JB:
Es ist schwierig, dies an Ländern festzumachen. Bei der Schweiz könnte man das Detailversessene und konstruktiv Systemartige herausheben. Schaut man dann aber aktuelle Designerinnen wie Kueng Caputo an, treffen diese Eigenschaften überhaupt nicht zu. 

Haben Themen wie Nachhaltigkeit und Handwerkskunst in diesem Jahr an Bedeutung gewonnen?
JB:
Ich glaube nicht, dass man das an diesem Jahr festmachen kann, und ich würde dem Corona-Jahr diesbezüglich nicht zu viel Bedeutung zuschreiben. Dieser Virus ist ein Thema, das wir als Gesellschaft gar noch nicht richtig fassen können. Nachhaltigkeit hingegen ist ein viel grösseres und weitreichenderes Thema, was uns auch nach Corona noch lange beschäftigen wird. Ich spüre aber nicht, dass die Themen durch die aktuelle Situation mehr gefördert werden – obwohl sie es sollten. Wir müssten allgemein viel mehr über diese Themen diskutieren, auch ohne Corona. 

Die beiden Schweizer Designerinnen Lovis Caputo & Sarah Kueng.

Das Schweizer Design-Duo Lovis Caputo & Sarah Kueng.

Die Gussformkollektion von Kueng Caputo für Fendi verweist auf den Hauptsitz in Rom.

Design Miami: Die Gussformkollektion von Kueng Caputo für Fendi verweist auf den Hauptsitz in Rom.

Muss man sich als Designer den aktuellen Umständen anpassen oder sich abgrenzen?
JB: Design müsste sich allgemein mehr der aktuellen Umstände bewusst sein und einen Weg finden, wie man mit diesen Themen umgehen und sie in den Arbeitsprozess aufnehmen kann. Da haben wir als Designer einen riesigen Nachholbedarf. Aber ich würde das nicht auf das Thema Pandemie beziehen, sondern ganz allgemein auf das Weltgeschehen. Design kann sehr aktiv sein.

Stört es Sie, dass Design vielfach «nur» als Konsumgut wahrgenommen wird?
JB:
Das ist eine wichtige Frage, denn wenn Design nur ein Konsumgut ist, ist es kein Design mehr. Für mich muss Design immer einen kulturellen Wert erfüllen, aber mir ist bewusst, dass dies noch nicht in den Köpfen verankert ist.  

Wie kann man das ändern?
JB: Über die Qualität. Gute Arbeit im Design muss langjährig und nachhaltig sein. Ich finde es wichtig, dass man den Anspruch hat, etwas zu kreieren, das über die Zeit bestehen bleibt. Das ist die ökologischste Haltung, die man als Designer haben kann. Wenn es nur darum geht, ein Konsumgut zu kreieren, das einer Firma für kurze Zeit Erfolg verspricht, hat es mit Design nichts zu tun. 

Der Trend geht aber schon dahin, dass auch Verbraucher und Verbraucherinnen wieder mehr Wert auf Handwerk legen, oder?
JB: Ja, aber die moralische Kategorisierung von Handwerk versus Industrie ist schwierig. Ich komme selbst aus dem Handwerksbereich und habe eine grosse Affinität dafür, aber ich schätze auch die industrielle Produktion in der Schweiz. Meiner Meinung nach wird es erst spannend, wenn wir eine ressourcenschonende und innovative Art von Industrie mit einbinden, denn am Ende beginnt jede Art von Industrie mit Handwerk.

Die Schweizer Modedesignerin Ida Gut.

Modedesign: Ida Gut entwirft seit bald 30 Jahren Mode mit unverkennbarer Handschrift. 

Sie sind Präsident der Eidgenössischen Designkommission, was reizt Sie daran?
JB: Dass man Design in die politische Debatte einbringen kann, wenn auch nur in beschränktem Mass. Mein Anspruch ist es, dass wir wegkommen vom Lifestyle-Konsumgut-Gedanken. Wenn wir Design nur darauf reduzieren, ist es sehr schade. Design ist so viel mehr und hat viel mit der Gesellschaft zu tun. Dieses Verständnis möchte ich vermitteln.

Mit welchen Herausforderungen sind Designer und Designerinnen heute konfrontiert?
JB:
Für viele ist es schwer, sich finanziell über Wasser zu halten. Schweizer Designer und Designerinnen rangeln sich um wenige Hersteller. Eine weitere Schwierigkeit ist, die eigene Entwurfs-Haltung zu bewahren. Meiner Meinung nach müssen Gestalter eine Haltung haben und die muss auch spürbar sein. Aber diese zu erhalten und dann noch Geld zu verdienen, ist schwierig.

Kürzlich sind die diesjährigen Gewinnerinnen des Schweizer Grand Prix Design 2020 bekannt gegeben worden – was hat die Jury von den Gewinnerinnen überzeugt?
JB:
Die Auswahldiskussionen sind immer heftig, einen gemeinsamen Nenner zu suchen, ist daher schwer. Worin wir uns aber alle einig sind, ist, dass wir eine Haltung sehen wollen. Es muss über das Konsumgutthema hinausgehen. Im Fall von Kueng Caputo ist es nicht nur eine politische Haltung auf Papier, sondern eine, die in ihrer tollen Arbeit in vielen Facetten aufscheint.

Welche Rollen spielen dabei Innovation und traditionelles Handwerk?
JB: Eine grosse, wenn wir Neues kreieren wollen, müssen wir das Alte kennen und aus dem Fundus schöpfen. Und uns gleichzeitig fragen, was die heutige Zeit von uns fordert. Es geht nicht, dass man sich auf eine grüne Wiese stellt und sagt, ich mache jetzt alles neu und anders. Aber wenn man es geschichtlich und kulturell verortet, entstehen neue Bezüge und damit auch generell Neues.

Wo haben Schweizer Unternehmen noch Nachholbedarf?
JB: In der Schweiz ist man oftmals selbstgenügsam. Der Seefahrerinstinkt fehlt. In Italien zum Beispiel geht jede noch so kleine Firma direkt internationale Wege, weil der italienische Markt zu klein ist. Schweizer scheuen sich davor – das ist schade.

Welche Chancen hat das Schweizer Design?
JB: Eine riesige, wir hätten die besten Voraussetzungen, und ich finde es schade, dass wir so wenig daraus machen. Wir haben tolle Schulen, die auf dem internationalen Parkett aktiv sind, und wir hätten einen riesigen Fundus. Japan und Skandinavien machen das sehr gut. Die Schweiz schläft in diesem Bereich leider ein bisschen. Uns fehlen der Weitblick und das Verständnis, dass das, was wir nach aussen tragen, auch unseren Wert steigert und uns als Land wieder zugutekommt. 

Die Schweizer Fotografin Monique Jacot steht im offenen Fenster und zeigt ein Farbfoto.

Fotografie: Für Monique Jacot ist Fotografieren ein humanistisches Engagement.

Schwarz-Weiss-Fotografie von Schlangenleder der Schweizer Fotografin Monique Jacot.

Fotografie von der Schweizer Fotografin Monique Jacot.

Das Interview wurde im Dezember 2020 im Magazin «Schweizer Manufakturen für Wohnkultur» publiziert.