Das letzte Mal, als ich freiwillig drei Stunden in einer Schlange stand, war grob geschätzt 2005. Was ich aus diesen Tagen mitgenommen habe, ist, dass kein DJ der Welt es Wert ist, drei Stunden im Regen zu stehen. Und: Dass es völlig legitim ist, auch mal einen angesagten Event bewusst zu verpassen. An Designveranstaltungen entwickelt sich langsam eine Tendenz hin zu vergleichbaren Strukturen wie in der Partyszene. Während des Salone del Mobile in diesem Frühjahr in Mailand wäre ich beinahe drei Stunden für die Experience A Space for Being von Muuto in Kollaboration mit Google angestanden. Über den Event wurde viel gesprochen, ein Armband mass die wechselnden Emotionen der Besucher, während diese verschiedene Räume passierten. Der Bericht war bereits fix in der Nachschau im Magazin sowie online eingeplant. Aus Zeitmangel wollte ich mir die Installation nicht am Pressetag zu Beginn der Woche anschauen, sondern am Freitag, als ich mit meinen Terminen durch war. Als ich morgens um halb zehn ankam (eine halbe Stunde vor Türöffnung!), standen die Besucher bereits in einer langen Linie, die sich vom Innenhof zur Strasse hinaus und an zahlreichen Geschäften entlang schlängelte. Nach einer halben Stunde tat sich endlich was und wir konnten ein paar Schritte gehen. Die Betonung liegt auf ein paar Schritte, denn danach geschah wieder lange nichts. Nach einer Dreiviertelstunde in der ich gefühlte fünf Meter voran kam, stellte eine Frau ein Schild neben mich: 2 hours. Im ersten Moment realisierte ich gar nicht, was da passierte, denn alle um mich herum blieben erstaunlich unbeeindruckt stehen. Ich stehe ja auch gelegentlich freiwillig in einer Schlange – etwa bei der Gelateria di Berna in Zürich, aber da weiss ich auch, dass ich nach maximal 25 Minuten das beste Glace der Welt (Erdbeer-Balsamico) in den Händen halte. Und natürlich weiss ich auch, dass andere eine tiefere Schmerzgrenze haben, wenn es um Wartezeiten geht – Menschen stehen ja wahlweise auch für neue Smartphones oder Sneakers eine Nacht lang vor einem Shop. Aber hier ging es um ein Raumerlebnis von maximal zehn Minuten! Ich entschied für mich, dass ich auch sehr gut ohne diese Erfahrung nach Hause reisen konnte. Die Installation blieb nicht der einzige Event in dieser Woche, den ich ausfallen lassen musste. Drei Installationen konnte (oder wollte) ich infolge Massenandrangs nicht besuchen. An der Art Basel zeigten sich ähnliche Tendenzen, um dabei zu sein brauchte es ein ziemlich unempfindliches Zeitgefühl. Im Kontrast dazu beobachte ich auch immer wieder, wie Besucher eindrückliche Objekte für ein Foto auf Instagram missbrauchen. An der letztjährigen Art Basel bewegte mich das Werk von Künstler Robert Longo sehr. Er hatte 40‘000 Patronen zu einer riesigen kugelförmigen Skulptur geformt – als Mahnmal für Anzahl Personen, die in den USA bei Amokläufen ums Leben gekommen sind. Während ich ein wenig betäubt dastand, drängten sich Besucher im Sekundentakt an mir vorbei, schossen ein Selfie (!) und verliessen den Raum, ohne das Werk oder den Beschrieb einen Moment zu würdigen. Es ist der Hype um Design und Kunst auf der einen und das flüchtige Passieren dessen auf der anderen Seite. Veranstaltungen und Messen werden wie Trendprodukte konsumiert. Man ist da, um mitreden zu können – und um auf Instagram ein paar Likes zu bekommen. Während mir die beiden Inzidenten in Mailand und Basel noch lange im Kopf herumschwirrten, fragte ich mich, wann darf Egoismus professioneller Leistung weichen? Ich will keine Likes auf Instagram. Ich will Menschen, Produkte und Ideen, die mich überraschen, die mich berühren, die mich zum Nachdenken und Staunen bringen. Objekte, die noch lange in meinem Gedächtnis herumtanzen. Aber nicht um jeden Preis. Nicht, wenn ich dafür zwei Stunden anstehen oder mich neben Selfie-Sticks stellen muss. Aber eine verpasste Erfahrung lässt sich nicht mit Pressetexten und -bildern kompensieren. In solchen Fällen ist das Nicht-Berichten der authentischste Nachbericht.