«Ich bin immer vor der Deadline fertig»

Atelier: Designporträt Gabriela Chicherio

Die Zürcher Designerin Gabriela Chicherio ist unter anderem Mitinitiantin der Design Biennale Zürich.

Vor über einem Jahr haben wir Gabriela Chicherio bereits einmal in dieser Räumlichkeit im Zürcher Kreis 6 besucht. Damals war das Atelier kurzerhand zum Design-Biennale-Büro umfunktioniert worden, die sie gemeinsam mit Andreas Saxer und Fabienne Barras initiierte. Heute ist es hier wesentlich ruhiger. An den Wänden hängen Produktentwürfe, und am Schreibtisch reihen sich handflächen­grosse Modelle von Stühlen aus Holz und Papier aneinander.
Gabriela hat ein Auge für unauffällige Details, die in der Menge abzutauchen scheinen oder leise aus der Reihe tanzen. Das hat sie unter anderem den Besuchern der Design Biennale und anhand des integrierten Design Walks bewiesen. Auf Spaziergängen nimmt sie gekrümmte Handläufe bei Brücken wahr, schaut unter die Hülle des Bekannten und kennt die Anzahl von Parkbänken in der Innenstadt. Vermeintliche Kuriositäten decken auch ihre Produkte wieder auf. Auf den ersten Blick zeichnen die Objekte minimalistische Züge, als dienen sie rein der Funktion. Erst bei näherem Betrachten entfalten sie eine Detailverliebtheit, die sich etwa beim «Dahlia»-Beistelltisch in Form einer dynamischen Drehung im Profil zeigt, oder beim Kleiderständer «Tango», der erst durch seine präzisen Biegungen, eine reduzierte und doch leibliche Gestalt annimmt. So unterschiedlich die Entwürfe sind, so gleichen sie sich doch im wesentlichen Nenner: Die Funktion steht klar im Vordergrund. Etwas, das Gabriela bei einem kommenden Design auch ändern würde. 

Die ersten Modelle macht Gabriela Chicherio von Hand aus Papier oder Holz. 

Obschon Gabrielas Skizzenheft gefüllt ist mit Ideen, findet der grösste Teil der Arbeit am Computer statt.

Farbmuster und Textilien: Hier sammeln sich neue Ideen, die sich langsam in einem Entwurf manifestieren.

Ein Sofa befindet sich noch nicht in der Produktepalette der Designerin, vielleicht aber schon bald.

Die löchrige Wand hinter dem Pult ist ebenfalls von Gabriela entworfen worden und soll dank kleinen Halterungen das Chaos bändigen.

Gibt es ein Produkt, zu dem du nie gekommen bist und das du gerne noch entwerfen möchtest?
Gabriela Chicherio:
Ich hätte extrem Lust, Gläser oder Parfumflakons mit Diamantschliff zu machen. Etwas, das ich noch nie gemacht habe und einen rein dekorativen Fokus hat und wobei die Funktion im Hintergrund steht.

Was war dein allererstes Produkt? 
GC:
Das war ein Trichter, den ich während des Studiums an der ECAL entworfen habe. Damals gab es einen einwöchigen Workshop mit einer Keramikmanufaktur aus Portugal zum Thema Zylinder. Wir sollten Produkte entwerfen, die an der Mailänder Möbelmesse ausgestellt werden konnten. Ich hatte die ganze Woche keine Idee und bin fast durch­gedreht. Am Donnerstag kam ich dann auf die Idee mit dem Trichter, der innerhalb ­eines Zylinders hinauswächst.

Wurde dieser dann auch produziert?
GC:
Ja, der wurde dann in Mailand ausgestellt, und Ligne Roset wurde auf ihn aufmerksam. Aber das lief zuerst sehr geheimnisvoll ab. Es hiess plötzlich, ich solle Pläne von meinem Produkt nachreichen, aber niemand wollte ­etwas Genaueres sagen. Nach langem Hin und Her kam heraus, dass Ligne Roset Interesse am Produkt hatte und den Trichter in Glas produzieren wollte. Und das ist dann auch geschehen.

«Ich bin extrem strukturiert, das war ich schon immer. Das ist meine Art.» 

Wird das Produkt heute noch verkauft?
GC:
Nein, es wurde von 2004 bis 2009 hergestellt und dann aus dem Sortiment ­genommen.

Wie strukturiert bist du in deiner Arbeit?
GC:
 Ich bin extrem strukturiert, das war ich schon immer. Das ist meine Art. Es gibt viele Leute, die den Druck einer Deadline brauchen. Ich hingegen bin immer vor einer Deadline fertig. Das ist nicht immer besser, weil man noch Zeit hätte, um etwas zu verbessern. Ich bin aber lieber vorher fertig und kann am nächsten Morgen frisch und ausgeschlafen zur Präsentation gehen. Zudem bin ich gut im Zeitpläne-Machen, weil ich diesen Schlussspurt-Stress zu vermeiden versuche. Vielleicht gehe ich deshalb auch immer mehr ins Organisatorische und weniger ins Entwerfen, gerade weil ich so gut strukturiert bin.

Ist dein Tagesablauf genauso strukturiert, oder arbeitest du auch mal in die Nacht hinein?
GC:
Ich mache keine Nachtschichten mehr, weil ich irgendwann nicht mehr effizient bin. Erfahrungsgemäss weiss ich auch, dass am nächsten Morgen nicht mehr gemacht ist, deshalb ist es sinnvoller, dass ich schlafen gehe und mich ausruhe und am nächsten Morgen frisch an die Sache rangehe. Ich bin ein Morgenmensch, da bin ich voller Elan, Ideen und Tatendrang, das schwindet dann meistens im Verlauf des Tages. Zudem habe ich es einmal geschafft, die Arbeit einer Abendschicht wieder zu löschen und am nächsten Morgen war nichts mehr da.

Bist du eine Perfektionistin?
GC: Nein, im Vergleich mit anderen ­Designern würde ich das nicht sagen. Es sind schon sehr viele Designer perfektionistisch veranlagt, und ich kann einen Entwurf auch mal sein lassen. Aber im Alltag bin ich eher pingelig im Gegensatz zu vielen Freunden.

Gab es eine Zeit, wo du ans Aufhören dachtest?
GC:
Ja, den Moment gab es, als es darum ging, ob die Design Biennale wirklich zustande kommt oder nicht. Damals musste ich mir ernsthaft überlegen, ob ich noch länger strampeln wollte und ob es sich lohnt, für keine Bezahlung so viel Engagement zu zeigen, oder ob es nicht besser wäre, etwas anderes zu machen. Aber die einzige Alternative, die mir einfällt, wäre, eine Kochlehre zu machen, und das wäre bestimmt genauso anstrengend, wenn nicht noch viel schlimmer. Irgendwann habe ich dann für mich entschieden, dass ich Freunde auch als Laie mit hohem Anspruch bekochen kann. Ich wüsste demnach nicht, was ich sonst machen wollte.

www.chicherio.com

«Tango»: Der Kleiderständer ist funktional und formal auf das Wesentliche reduziert und kann an jede Wand gelehnt werden ohne Montage.

«Amis de Jean» für Ligne Roset: Die Leuchtenfamilie überdenkt die Lampenschirme der 70er-Jahre neu und gestaltet die fast in Vergessenheit geratene Auslegertypologie der 50er-Jahre neu.

«Dahlia»: Der kleine Beistelltisch besteht aus drei identischen Stahlteilen, die lasergeschnitten, gebogen und pulverbeschichtet sind und dem Möbel eine dynamische Form verleihen.