Von wegen Lückenfüller

Hinterhofgebäude in München

Hinterhofgebäude mit dunkelgrauer Fassade in München von Architekt Oliver Rühm

Das Hinterhofgebäude von Oliver Rühm ist geprägt von feinen Rundungen, die eine spannende Raumgeometrie erzeugen und dem Gebäude eine Leichtigkeit verleihen.

Die Garagen waren für meinen Mann das Wichtigste. Ohne die wäre er nicht hierhergezogen», gesteht Katja Fahrenholz. Kann man verstehen, schliesslich brauchen die beiden bildschönen Porsche 911 aus den 1970er-Jahren ein trockenes Quartier. Eigentlich bewohnten die Innenarchitektin und ihr Mann Lutz ein schönes Altstadthaus aus dem Jahr 1910 in München und waren dort glücklich. Eher zufällig entdeckte Katja im Internet ein 90 m² grosses Grundstück im Hinterhof, fünf Gehminuten vom Viktualienmarkt entfernt. Sie beauftragte Oliver Rühm von Bauphase Architekten, den sie von gemeinsamen Projekten schon kannte, zur Nachverdichtung des Geländes. Als sie und ihr Mann die Pläne das erste Mal sahen, waren sie Feuer und Flamme. Wann hat man schon mal die Möglichkeit, in bester Innenstadtlage neu zu bauen und alle Innenräume selbst zu gestalten?

Blick durch bodenlanges Fenster von Entree in die Garage auf einen orangen 911er-Porsche.

Ein grosses Fenster lenkt den Blick vom Entree gekonnt auf die edlen 911er-Porsche in der Garage.

Eingangsbereich mit schwarzer Wendeltreppe und roter Wand, die mit kleinen Bilderrahmen geschmückt ist.

Die Bewohner bekennen Farbe: Dies verrät schon das kräftige Rot am Fusse der Stahltreppe im Eingangsbereich.

Wer Katja Fahrenholz besucht, sieht schon im Erdgeschoss, wie raffiniert der Architekt mit der begrenzten Grundfläche umging. Ein grosses Fenster lenkt den Blick vom Entree aus auf die edlen Karossen und das Porträt von Maria Callas. Ausserdem wirkt die Diele so deutlich grösser. Der rote Wandton lässt erahnen, dass die Bewohner Farbe wagen. Beige Eintönigkeit ist Katjas Sache nicht. Vom Eingangsbereich schraubt sich eine Stahltreppe ins Obergeschoss und wird von einem frech modernen Kronleuchter aus Plexiglasröhrchen in Szene gesetzt: Das kraftvolle Ölbild des Berliner Künstlers Toni Wirthmüller entfaltet eine grosse Anziehungskraft. Davor, mit Blick auf den raumhohen Gaskamin aus Schwarzstahl, platzierte sie zwei Egg-Chairs von Fritz Hansen in knalligem Rot – aber nicht irgendwelche: Die It-Pieces standen viele Jahre in einem Brandstore von Coca-Cola in New York. Hinter der hellblauen Wand sind zwei Schiebetüren verborgen, mit denen sich der Wohnbereich komplett abtrennen lässt. Eine zitronengelbe Wand bildet die Bühne für das legere Relaxsofa und das Œuvre in Öl «Rudi verschwindet» des Münchner Filmregisseurs und Malers Herbert Achternbusch. «Das Bild, das wir schon über 20 Jahre mit uns rumschleppen, war für mich ganz entscheidend bei der Farbauswahl», sagt die Interiordesignerin.

Die Grundfarben des Bildes «Rudi verschwindet» (rechts) von Herbert Achternbusch – Gelb, Rot, Grün und verschiedene Blautöne – waren entscheidend bei der Farbwahl der Einrichtung.

Als intimen Rückzugsort zum Lesen wählte Katja den ikonischen Samtsessel «Longwave», den das Kreativteam der italienischen Fashion- und Lifestylemarke Diesel für den Designmöbelhersteller Moroso entwarf.

Die zwei roten Egg-Chairs von Fritz Hansen standen in einem Brandstore von Coca-Cola in New York, bevor sie ihr neues Zuhause in München fanden.

Die Küche mit Fronten aus Eiche zitiert die organischen Rundungen des architektonischen Entwurfs. Der Eero-Saarinen-Tisch war ein glücklicher Ebay-Fund.

Das urbane Zuhause ist unverwechselbar, individuell und humorvoll. Stilsicher mischt Katja Fahrenholz Möbel, Farben und Materialien, die ein stimmiges Ganzes ergeben, aber nie den Mainstream abbilden. Mittelpunkt des Hauses ist ein Ebay-Fund – ein Eero-Saarinen-Tisch, der sich mit zwei Auszugsplatten erweitern lässt. Dazu passen die filigranen Vintage-Bikini-Chairs mit Eiffelturm-Untergestell und ­Eames-Klassiker mit Vollpolsterung ideal. Die Wohnküche ist das kommunikative Zentrum, in dem gekocht, gegessen und mit Freunden gefeiert wird. Hier zitiert Katja Fahrenholz raffiniert die organischen Linien des architektonischen Entwurfs: Für die Einbauküche mit Holzfronten aus Eiche liess sie Corian in Form biegen. 

3-D Tapete mit Blumenmuster im Tages-WC

Überraschende Wandgestaltung im Tages-WC: Die 3D-Blumen erinnern an Stuckaturen.

Bad mit knallroten Wänden und Badewanne aus Holz/Keramik.

Für die Rückzugsräume im Obergeschoss wählte die Innenarchitektin sanftere Farben – ausser im knallroten Bad!

Schlafzimmer mit Bett im Vordergrund und blau gemusterten Tapeten im Hintergrund

Das Schlafzimmer ist ein Kunstwerk aus nuancierten Blautönen. Die Tapete stammt von Designer Karim Rashid.

Katja Fahrenholz in einem orangen Sessel vor der Tapete «Grüss Gott» der Künstlerin Sara Ginola

Katja Fahrenholz vor der Tapete «Grüss Gott» der Künstlerin Sara Ginola, die eine natürliche Leichtigkeit ins Gästezimmer bringt.

Katja Fahrenholz’ Faible für Tapeten zieht sich wie ein roter Faden durch das Interieur. «So bekommen Räume schnell einen anderen Look, mit wenig Mitteln schafft man eine eigene Atmosphäre», er­klärt sie. Cool und überraschend zeigt sich die Wandgestaltung im WC, gleich neben dem skulpturalen Treppenaufgang: Die Blüten im 3D-Look scheint ein Stuckateur mit seinem Meissel fein herausgearbeitet zu haben.

In der dritten Ebene mit den Rückzugsräumen des Paares wählte die Innenarchi­tektin bis auf das knallrote Bad an der ­Rückseite des Hauses ruhigere Farben. Im Gästezimmer erinnert die feminine Tapete «Grüss Gott» der Künstlerin Sara Ginola an die vier Jahreszeiten. Flora und Fauna schweben hier durch die Lüfte. Detaillierte digitalisierte Handzeichnungen wurden zu einem zarten Wandbild zusammengefügt. Das Schlaf­zimmer ist ein fein komponiertes Gesamtkunstwerk. Auf 14 m² schuf die Designerin ein nuanciertes Farbspiel in unterschiedlichsten Blautönen. Die psychedelischen Tapeten des US-amerikanischen Designers Karim Rashid, bei denen er musikalische Schwingungen mit dem Computer in 3D-Technik visualisierte, betonen die feinen Kurven der Aussenfassade. Ganz in Himmelblau eingehüllt findet das Paar in seinem gepolsterten Bett Ruhe im Hinterhof. Und im Sommer können sie auf der Dachterrasse davor Höhenluft schnuppern und den ­Kirchenglocken vom Alten Peter lauschen.

Titelbild der Ausgabe 2/21 von Atrium mit dem Titel Raum-Magier

Den gesamten Report finden Sie in Ausgabe 2/21 von Atrium, die jetzt am Kiosk erhältlich ist.